An der Wursttheke von Feinkost Käfer tippt mir jemand auf die Schulter, ich drehe mich um – Jack. Er ist…älter geworden. Zwei tiefe Nasobialfalten ziehen sich entlang der feinen Nase durch sein gebräuntes Gesicht, die hellblonden Locken sind dunkler und lichter geworden und er hat gut 15 Kilo zugenommen – aber die hellblauen Augen verraten ihn, diese unverwechselbaren stechenden Pupillen. Er ist immer noch ein gut aussehender Mann.
Freue ich mich mich ihn zu sehen? Irgendwie schon. Wir lachen und umarmen uns und drücken uns fest. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht mir Jack – hier an der Wursttheke!
Die Sache damals war viel komplizierter gewesen, als es auf den ersten Blick schien. Jack hatte nicht nur Alkohol- sondern auch massive Drogenprobleme gehabt und – fast noch schlimmer – er hatte mit Drogen wohl auch gedealt.
Ich war damals fassungslos, geschockt, entsetzt, tief verletzt und ratlos. Jack hatte eine Art Doppelleben geführt. Dass er Party machte wußte ich, ich war ja dabei. Aber dass er Drogen genommen hatte? Davon hatte ich keine Ahnung. Es erklärte im Nachgang alles, seine Aussetzer und Wutanfälle und Unzuverlässigkeiten und schließlich auch die Schlägerei auf der Landsberger Straße.
Wir verloren uns aus den Augen. Ich machte meine zweites Staatsexamen, heiratete Ludwig, den Torhüter der „Angeber“, jener Freizeit-Fußballmannschaft, über die Jack und ich uns kennen gelernt hatten. Wir bekamen zwei Söhne, Franz und Max und mein Mann arbeitete zu dem Zeitpunkt noch in einer Kanzlei für internationales Recht, ich war „nur“ Hausfrau. Und hatte Zeit.
Hast Du Lust auf einen Kaffee fragte Jack, na klar sagte, ich, die Kinder waren im Kindergarten,
Und so fing alles wieder an.
Wenn man mit einem Menschen befreundet ist, kann man sich 10 Jahre nicht sehen, aber wenn man sich dann trifft, fängt man sofort wieder zu erzählen an, es ist, als ob man sich gestern erst verabschiedet hätte.
Jack war verheiratet – mit einer wesentlich älteren Schweizerin, die offensichtlich seinen Lebensunterhalt finanzierte, denn er arbeitete nicht. Er führte ein entspanntes Leben, mittlerweile wieder in München, wo er ein luxuriöses Appartement im Herzogpark bewohnte und einen roten Porsche fuhr. Seine Frau war generös – auch in Herzensangelegenheiten, denn Jack war ihr alles andere als treu, was er nicht mal versteckte.
Seine Ehefrau lebte zwischen Zürich, Miami und München und war wirklich selten da, so hatte er freie Bahn …. und Zeit.
Jack hatte keine eigenen Kinder, aber mochte meine Jungs ganz gerne. Nach dem Kindergarten gingen wir gemeinsam in den Englischen Garten, im Winter zum Schlittschuhlaufen ins Prinzregentenstadion, wir hatten immer ein lustiges Programm – und ich war froh eine Art männliche Nanny zu haben und einen Austauschpartner mit dem ich über andere Dinge sprechen konnte als über Kinder, Erziehung, die besten Schulen was im Tennisclub mal wieder alles schief läuft. Ich war froh, dem Blabla der anderen Hausfrauen, mit denen ich verkehrte, zu entkommen.
Ludwig, mein Mann, kannte Jack ja noch aus der gemeinsamen Fußballzeit, er war null eifersüchtig und freute sich, dass ich „beschäftigt“ war, denn er arbeitete wirklich viel, auch am Wochenende.
Und ich war glücklich. Ich war damals Ende Dreißig, Hausfrau, Mutter und die letzten Jahre daheim gewesen, meine Lust aufs Leben….war wieder erwacht.
Es wurde eine geile Zeit mit Jack, fast wie früher in Schwabing. Ich brachte die Kids in den Kindergarten, dann trafen wir uns zum Frühstück und unternahmen was, mit dem Fahrrad oder wir gingen ins Museum. Dann holten wir die Kinder ab und es ging weiter mit Entertainment. Jack zelebrierte sein Bohéme Dasein – und zog mich mit. An den Wochenenden gingen wir in Clubs, wir tanzten und tranken, ich weiß bis heute nicht warum Ludwig, mein Mann, dass alles klaglos mitmachte. Wahrscheinlich, weil er klug genug war, mir meine Freiräume zu lassen, er wußte, dass er mir DAS, durchzechte Nächte, das Gefühl noch jung zu sein, nicht bieten konnte, er saß an komplizierten Verträgen und legte den Grundstock zu unserem heutigen Wohlstand.
Menschen ändern sich nicht. Jack begann wieder zu trinken – und ausufernde Frauengeschichten zu pflegen. Er brachte seine Liebschaften gelegentlich zum Frühstück mit, was ich tolerieren mußte. Aber als er begann seine Affären auch nachmittags zum Kinderprogramm mit zu schleppen…. war das der Anfang vom Ende für mich.
Als der Winter kam mietete Ludwig für uns eine kleine Wohnung in Aurach, Tirol, wo wir die Wochenenden verbrachten. Jack hatte keine Lust auf Berge oder Skifahren und so fuhr ich Freitags alleine mit den Kindern, und mein Mann kam Samstag nach. Und Jack….rief immer öfter lallend an. Er erzählte dann von den Problemen mit seiner Frau. Das Thema hatten wir NIE während der Woche, während er nüchtern war. Aber ich konnte die Uhr danach stellen, wenn ich in Aurach am Herd stand und kochte, dann bimmelte das Telefon und es war Jack, der reden wollte. Am Anfang nahm ich mir Zeit und versuchte Jack zu beruhigen und ihm zu helfen. Aber die Anrufe kamen immer häufiger und manchmal auch nachts und irgendwann sagte Ludwig: es reicht.
Ich hatte mich lange gewundert, warum Jacks Ehefrau seine Eskapaden tolerierte. Er setzte ihr unverblümt die Hörner auf und seine Affäre mit der blutjungen Tochter eines Pharmaunternehmens war sogar in den Klatschspalten der Abendzeitung ein Thema gewesen.
Wenn man einen Menschen mag, glaubt man an das Gute in ihm. Als der Frühling kam, überredete ich Jack zu einem „gesunden“ Wochenende in Tirol.
Schon der erste Abend war ein Desaster, weil Jack sich heillos besoff und unverschämtes Zeug redete, er bleib fast die ganze Nacht auf und laberte mich zu, ich bekam Angst und war froh, als Ludwig am nächsten Morgen mit den Kindern nach kam. Samstag eskalierte alles, wir hatten Freunde zum essen da. Jack trank und trank und lallte. Ich bat ihn, nichts mehr zu trinken, er wurde aggressiv. Ludwig schritt ein, verbot ihm zu trinken, wollte ihn ins Bett schicken, es war nur noch peinlich vor den Gästen – da rutschte Jack die Hand aus. Er erwischte Ludwig voll mit der Faust, Ludwigs Lippe platzte auf, Blut spritze, alle schrieen, aber Jack war in Rage, er warf mit Gläsern, stieß den Fernseher um, die männlichen Gäste versuchten ihn zu überwältigen, aber es war fast nicht möglich.
Ich weiß nicht mehr genau, wie es dann weiter ging, aber am am nächsten Morgen war Jack verschwunden – und mit ihm Ludwigs Rolex, meine Kreditkarten, sowie das Bargeld aus unserer Haushaltskasse.
Es war das letzte Mal, dass ich Jack sah. Ich hörte, dass sich seine Frau von ihm getrennt hatte und er – angeblich – in Miami lebte. Aber es interessierte mich nicht mehr. Jack – das war Vergangenheit.
Bis…. gestern. Da sitze ich mit Max und Franz im Englischen Garten am Eisbach, die beiden studieren hier in München, ich lebe mit Ludwig und unserer Tochter, die dieses Jahr Abitur macht, in Augsburg. Ein schönes, ruhiges, anständiges Leben. Da kommt dieser Flaschensammler. Heruntergerissen und alt. Verlebt und fertig. Es ist Jack. Er fragt, ob er unsere Flaschen haben kann. Wir schauen uns in die Augen. Kein Zweifel. Er ist es. Und er erkennt mich. Für den Bruchteil einer Sekunde, überlege ich, was zu tun ist, läuft unser gemeinsamer Film in meinem Kopf ab. Soll ich mich wieder engagieren? Ihn in mein Leben lassen? Was würde das auslösen? Da sagt Max, mein Sohn: klar, nehmen Sie die Flaschen, wir gehen ohnehin jetzt, komm Mama, Zeit wird’s und zieht mich hoch und die Situation ist vorbei und ich bin froh, wie lange nicht mehr in meinem Leben…
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Ich liebe diese Münchner Geschichten. Ausnahmslos und alle!
Liebe Juliane, Danke für das schöne Kompliment. Ich liebe die Münchner Geschichten auch und schreibe sie gerne auf. Es gibt also bald „Nachschub“.Lieben Gruß, Annette
Wie traurig, wie menschlich, was für eine Verschwendung, aber auch was für Hochglanz für einige Momente des Lebens, oder? Ich kann die Enttäuschung und die Hoffnung fast mit den Händen greifen. Vielen Dank für diese Geschichte.