Beitragsfoto. Weihnachts Stimmung, Copyright: Sacher Hotels
9 Tage vorher, 25.Dezember
Es ist weit nach Mitternacht, als Susanne und Klaus im „Flaming Star“ ankommen, der Laden ist rappelvoll, jede Menge bekannte Gesichter und Klaus wird wieder wach und etwas besser gelaunt.
Klaus gibt die Mäntel ab und Susanne drängt sich an die vordere Bar, bestellt zwei Bier, schaut sich um – da steht er: Impi. Susanne erschrickt. Ihr Unterarm zuckt, sie wird heiß im Gesicht und ihr Herz beginnt zu rasen. Susanne weiß, was das bedeutet. Sie ist verknallt. Wie damals, als Teenager.
Es ist ein herrliches, schreckliches Gefühl, herrlich weil ihr Herz jetzt hüpft, weil sie IHN sieht und mit IHM gleich tanzen wird. Und schrecklich…weil….das alles nicht sein darf. Sie ist verheiratet, 3 Kinder, ein Haus, der Kredit….da kommt Klaus, sie drückt ihm das Bier in die Hand, da kommt Impi auf sie zu, sie sehen sich in die Augen, mitten in die Augen, süß und tief und lange, zu lange, denkt Susanne, aber Impi ist souverän, drückt Klaus, der lässt es über sich ergehen, sie wechseln ein paar Worte, Klaus ist locker, von dem Averna, von dem schönen Weihnachtsabend, von der lustigen, aufgewühlten Atmosphäre hier im Flaming Star.
Susanne kann jetzt nichts mehr machen, sie muss es laufen lassen, muss sich dem fügen, was jetzt kommen wird, was sie angezettelt hat – SIE wollte ins Flaming Star, es war nicht Klaus’ Idee, es war SIE höchst selbst, SIE ganz allein, SIE, die vergebene Frau, aber es bleibt keine Zeit für solche Gedanken, denn jetzt spielen sie Nirwana, „Smells like Teen Spirit“.
Impi nimmt Susannes Hand, zieht sie mit sich durch die Menge und auf die Tanzfläche. Susanne ist im Himmel. Heilig Abend im Himmel. Sie tanzt auf Wolken, auf herrlichen Wolken mit August, der so unverschämt gut aussieht, so wie keiner der Typen hier, schon gar nicht wie Klaus mit dem dünnen Haarkranz und den schrecklichen Spießer Klamotten, aber sie laufen ja alle so rum, bei ihnen in der kleinen Stadt, und schon denkt Susanne wieder nur ein einziges Wort: August. August. August.
Und es ist ihr egal, was Klaus sagen wird und wie er reagieren wird, sie weiß, dass sie heute Nacht noch mit August, sie hofft, dass sie heute Nacht noch mit August, egal, wo ist Klaus überhaupt, er steht ganz hinten am Tresen mit Micky Bender, gottseidank, Micky Bender, Kollege, gleiches Krankenhaus, Anästhesie, sie werden jetzt über den neuen, jungen Chefarzt lästern, das wird dauern und dann zieht Susanne August an der Hand von der Tanzfläche und sagt, dass sie eine rauchen möchte und sie schaut, dass Klaus sie nicht sieht und sie stehlen sich nach draussen in die kalte Nacht, aber das ist egal, denn jetzt nimmt August sie fest in den Arm und sie schauen sich lange in die Augen, lange und tief und tiefer und dann küssen sie sich sanft und dann wild und dann hemmungslos und leidenschaftlich
5 Tage vorher, 29.Dezember
Susanne zieht ihre enge 3/4 Jeans hoch, eine Zara Jeans, modisch verwaschen, gestern gekauft, extra gekauft für das Date mit mit Impi. Sie will sexy für ihn sein. Sexy und jung und begehrenswert. So aussehen, wie die Mädchen, die sonst um ihn herum sind, diese 20jährigen Agentur-Mädchen, von denen August immer spricht. Es ist eine Art liebevolle Verachtung, wenn er über diese Mädchen redet, nein, eine Beziehung, eine Ehe kann er sich nicht vorstellen mit diesen Mädchen und doch ahnt Susanne oder sie befürchtet, dass das nicht ganz so der Wahrheit entspricht. Sie weiß es nicht. Sie weiß gar nichts mehr. Seit Heilig Abend weiß sie gar nichts mehr. Sie lebt in einem Vakuum, einem süßen Vakuum.
August liegt noch im Bett, es ist das selbe Bett von damals, die gleichen blau karierten Laken mit dem weißen Monogramm. Er ist nackt und entspannt. Entspannt vom Sex, von den Gesprächen UND vom Sex, den ganzen Nachmittag, die ganzen letzten Tage geht das schon schon, er lächelt.
Es wird so nicht weitergehen. Es kann so nicht weiter gehen. Sie ist eine verheiratete Frau, sie trifft sich heimlich mit ihrer Jugendliebe, sie hat Sex mit ihrer Jugendliebe, sie ist verliebt in ihre Jugendliebe, ach was, es ist viel mehr als verliebt sein. Susanne brennt.
Sie streift sich den blauen Kapuzenpullover über, den hat sie aus dem Schrank ihrer Tochter Celina genommen, sie sieht jünger darin aus und sie fühlt sich gut, besser, sexy darin. Aber das nutzt ihr nichts. Sie ist nicht jünger, nur weil sie kindische Klamotten trägt. Das wird ihr jetzt, in diesem Moment, bewußt. Sie würde es nicht packen, mit einem Typen wie August zusammen zu sein. August könnte jede haben. Warum Sie, warum Susanne, die dreifache Mutter, die sich Klamotten aus dem Schrank der Tochter klaut?
Susannes Selbstwertgefühl ist zu gering für dieses Beziehung. Gerade WEIL August ihr so viele Komplimente machte, gerade weil er ihr zuhörte, sie ernst nahm, in den Arm nahm, ihre Seele erreichte, gerade deshalb hat sie keinen Mut mehr, dieses Abendteuer zu wagen.
Silvester wird er nach Berlin fahren. Feiern. Eine Hauptstadtparty. Mit all den jungen Agentur Leuten. In angesagten Klamotten. Von angesagten Designern, nicht von Zara. Sie werden angesagte Drinks zu sich nehmen, angesagte Musik hören, angesagte Themen besprechen und Susanne wird mit Klaus, den Eltern und Schwiegereltern im verschuldeten Haus sitzen und Fondue essen. Wie seit 20 Jahren.
Seit langer Zeit fühle ich mich wieder wie ich selbst….sagt August jetzt zu ihr und schaut sie lange an. Keine Show, keine Spielchen, ich bin ich…sagt er und natürlich freut sich Susanne darüber.
„August…???“
„Sag jetzt nichts Sus…“
„August, wir müssen mal reden.“
„Wir reden doch die ganze Zeit…“
„Du weißt, wie ich es meine. Das mit uns…..“
„Sus, ich MUSS nach Berlin. Ich würde gerne hier bleiben. Hier bei Dir. Und bei meiner Mutter. Sie braucht mich. Aber es geht nicht. Nicht jetzt. Ich komme wieder. Am 2. Januar. Dann rufe ich Dich an. Und dann sprechen wir. Okay?“
Susanne nickt. Leise. Sie zieht sich den grauen Daunenmantel an, fast schämt sie sich dafür, ein günstiges Teil, irgendwo gekauft, nicht schick wie der camelfarbene Mantel von August, nicht erlesen, nicht modern, nicht auf irgendetwas anderes aus, als die Funktion.
Sie schleichen sich heimlich die Treppe hinunter, vorbei am Wohnzimmer, wo August Mutter sitzt, sie huschen vorbei, durch den Keller, der einen Ausgang hin zur Waldseite hat, wo sie von niemandem gesehen werden können.
Susanne fühlt sich nicht toll und nicht sexy, sie fühlt sich wie eine Ehebrecherin. Leer. Gemein. Hinterhältig. Sie will einfach nur noch heim. August nimmt ihr Gesicht in seine Hände, küßt sie sanft auf den Mund. Lange, süß. Sie atmet flach. Und dann läuft sie den Weg entlang Richtung Straße und blickt nicht zurück.
Heute, Jetzt….
Susanne steht in der Küche und ihr Handy klingelt. CHEMIE steht auf dem Display. CHEMIE klingt neutral, unwichtig, nebensächlich, keiner geht ran, wenn CHEMIE klingelt. Soll auch nicht, denn denn hinter dem Codenamen CHEMIE steckt August.
CHEMIE….CHEMIE…CHEMIE… in wenigen Sekunden muss Susanne entscheiden, ob sie ran geht. Wenn sie ran geht, wird das ihr Leben ändern. Sie wird neu starten, wird sich von allem lösen, vom Mief der Kleinstadt, vom Korsett der Familie, von allem, was sie schon längst hätte ändern wollen, wenn sie nur mutig gewesen wäre. Geht sie nicht ran? Dann bleibt alles wie es war, ihre Ehe, ihr Haus, ihr Leben, das sooooo schlecht nicht war und die Geschichte mit August bleibt ein süßes Kapitel in ihrem Herzen….Ran gehen? Oder es lassen?