Warum? Warum haben die ausgerechnet MICH erwischt? Warum bin ich nicht früher heim, nur 2 Minuten früher, dann wäre alles nicht passiert? Warum ist die Welt so ungerecht, ich bin ein braver, steuerzahlender Staatsbürger, warum ärgern die mich jetzt so? Warum muss ich mein Leben komplett umstellen, ich hab doch nichts getan….außer mit 1,3 Promille zu fahren….Am Anfang gehen einem die ganzen „Warum“ Fragen im Kopf herum. Und es herrscht blinde Wut.
Am Morgen nach der Alkoholfahrt erwachte ich früh, vielleicht gegen 6 Uhr, und dann holte mich der Horror ein. Ich realisierte, was passiert war. In der Nacht war ich überraschend ruhig geblieben, ich hatte irgendwie funktioniert. Aber jetzt brach ich zusammen. Ich zitterte und heulte und schluchzte und schrie. Ich war so sehr verzweifelt wie noch nie in meinem Leben. Ich kam mir vor wie in einem schrecklichen Albtraum. Doch der Albtraum war Realität. Ich war von der Polizei erwischt worden, ich hatte Blut und meinen Führerschein abgeben müssen, Sie hören von uns, dann stand ich alleine und hilflos auf der Straße.
Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft…..so steht es ganz nüchtern im Gesetz.
Ich mußte mir einen Anwalt suchen, der mich „verteidigt“, obwohl man da fast nichts machen kann. Die Rechtslage ist eindeutig. Im Nachhinein finde ich die Zusammenarbeit zwischen Anwalt und Behörden zu eng, mein Tiefpunkt kam mit der Anordnung einer MPU, auf gut Deutsch Depperlestest. Auch da konnte mein Anwalt, angeblich der beste der Branche, nichts für mich tun. Beziehungsweise er schrieb diverse Briefe, die aber nichts nützten, denn zum Schluß mußte ich alles zahlen aber es kam genau so wie die Führerscheinstelle es wollte.
Insgesamt hat mich die Alkoholfahrt fast 30.000 Euro gekostet. Da ich keine Rechtsschutzversicherung hatte, mußte ich den Anwalt aus eigener Tasche bezahlen. Dazu kamen Kosten für Urinproben, KFZ Stilllegung, Führerschein, Psychologe, MPU, die satte Geldstrafe von 5000 Euro, Du mußt immer nur zahlen, zahlen, zahlen, ich weiß nicht, wie Menschen das stemmen, die weniger verdienen, als ich. Es ist eine richtige Industrie, in der viel viel Geld verdient wird.
Mein Führerschein war ein ganzes Jahr lang weg. 12 Monate, 52 Wochen, 356 Tage kein Auto. Am Anfang fühlt man sich amputiert. Es fehlt ein Bindeglied im Leben. Einfach mal schnell zum Supermarkt, zum See, in die Stadt, das geht nicht mehr. Gottseidank habe ich keine Kinder, die irgendwo hin gefahren werden müssen. Und glücklicherweise arbeite ich mitten in der Stadt mit Bus-, Tram- und U-Bahn-Verbindung. Am Abend fuhr ich Taxi, im Sommer Fahrrad. Man gewöhnt sich daran. Irgendwie.
Viel schlimmer als das viele Geld und die unangenehmen Umstände ist der Psycho Druck. Ich mußte regelmäßig Urin geben, die Stichproben kommen unangekündigt und dann muß man quasi sofort erscheinen und in Anwesenheit einer Aufsichtsperson pinkeln. Es ist unglaublich entwürdigend. Das Institut, das die Tests durchführte, liegt am Hauptbahnhof, eine üble Gegend aber noch übler waren die Gestalten, die mit mir im Warteraum saßen. Selten habe ich soviel Not und Elend gesehen. Dreckige, verschmutze, aggressive und verzweifelte Menschen, Menschen, denen man das unstete Leben im Gesicht ablesen konnte, Menschen, mit denen man sonst keine Berührungspunkte hat. Nach den Urin Proben war ich jedes mal komplett fertig mit den Nerven.
Dann die Vorbereitung zur MPU, dieser ganze Seelenstriptease im Vorfeld, dieses Wühlen und Bohren in den Tiefen Deiner Seele. Du musst Dich klein machen und in die Knie gehen und sollst Dich schämen. Du musst zugeben, dass Du ein Stück Scheiße bist, das wollen diese TÜV-Typen von Dir hören. Es geht im Grunde nicht darum, ob Du in der Lage bist, Auto zu fahren. Sie machen Dich fertig, weil Du Alkohol trinkst. Als ob es eine verbotene Droge wäre. Es genügt nicht zu sagen, sorry, ich weiß, passiert mir nie mehr wieder, ich nehme beim nächsten Mal ein Taxi und gefährde nicht den Straßenverkehr. Nein, Du musst dem Alkohol abschwören und zugeben, dass Du süchtig bist. Auch wenn es nicht stimmt. MPU ist die Heilige Inquisition und am Ende wird die Hexe verbrannt. So ist das.
Dazu kommt der soziale Druck. Es ändert sich der Freundeskreis. Am Anfang ging ich noch ein paar mal mit zum Mädelsabend. Aus Trotz. Jetzt erst recht, dachte ich, und ich brauche keinen Alkohol, um lustig zu sein. Aber die Wahrheit ist, dass ich zur Spaßbremse wurde. Meine Kolleginnen zwitscherten sich einen an und lachten und alberten…über Dinge, die ich in nüchternem Zustand überhaupt nicht komisch fand. Je mehr Alkohol im Spiel ist, desto mehr drehen sich die Gespräche im Kreis. Betrunkene wiederholen jeden Satz zig mal, das nervt.
War es schwer auf Alkohol zu verzichten? Ja und nein. In Gesellschaft NICHT trinken ist wirklich schwierig. Ich wollte meine Geschäftspartner nicht darauf aufmerksam machen, dass ich dieses MPU Problem vor mir hatte. Also bestellte ich bei Geschäftsessen lauthals den besten Wein des Hauses, damit auch jeder sah, das ich „trinke“. Ich ließ mir einschenken, prostete den anderen zu, aber schluckte nicht runter. Nachdem die anderen das zweite Glas intus hatten, bemerkten sie sowieso nicht mehr, dass ich nichts trank.
Ich nahm 3 Kilo ab und fing wieder mit Tennis an. So lernte ich auch meinen jetzigen Freund kennen. Das lief erstmal holprig. Daten Sie mal einen Mann und trinken keinen Alkohol! Allein das ist eine Story für sich. Aber Thomas, so heißt mein Freund, war verständnisvoll. Er half mir sehr, gerade in der belastenden Zeit der MPU.
Das allerallerschlimmste war eine Volte der TÜV Behörde. Nach der MPU, also nach der mündlichen Prüfung, wollte ich mit Thomas feierlich meine wieder gewonnene Freiheit feiern und mit meinem Lieblings-Champagner anstossen. Aber ich hatte so ein seltsames Gefühl, dachte, warte noch. Warte, bis bis Du den endgültigen Bescheid hast. Und tatsächlich, die riefen mich an, irgendein Marker im Urin-Test war angeblich grenzwertig und ich mußte – für 180 Euro – nochmal pinkeln.
Die ganze Sache liegt jetzt 2 Jahre zurück. Ich trinke wieder Alkohol, wenn auch weitaus weniger als früher, was an meiner Lebenssituation liegt. Ich bin häuslicher geworden und bleibe mit Thomas am Wochenende daheim, wir kochen und chillen statt ab zu stürzen.
Was ich aus der Alkoholfahrt und ihren schrecklichen Konsequenzen gelernt habe? Abends nur noch mit dem Taxi fahren. Ich trinke weniger. Ich weiß jetzt, dass ich nicht süchtig nach Alkohol bin und auch nicht war. Ein beruhigendes Gefühl. Aber ich wache nachts immer noch auf und habe Albträume. Und ich habe einen Haß auf DIE Behörden, DEN Staat, dieses diffuse Gebilde, was sich gegen mich verschworen hatte, was mich fertig machen wollte. Ja, ich weiß natürlich, dass eine Alkoholfahrt kein Kavaliersdelikt ist. Es ist unverantwortlich. Aber mit einer Geldstrafe wäre es auch getan gewesen.
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Hammer gut geschrieben- ich liebe Ihren Schreibstil Frau Weber! MADE MY DAY.
xo Tanja
http://www.tanjabock.com
Liebe Tanja, Danke. Ich gebe das „Lob“ auch an die Freundin weiter, die ein Jahr ohne Füherschein war…. ich kann nur sagen: seitdem das meiner Freundin passiert ist, fahre ICH auch nur noch Taxi….
Lieben Gruß
Annette
Ich kann den Ärger zwar nachvollziehen, finde aber die Darstellung, ein Opfer überzogenen Behördenwahnsinns zu sein, fragwürdig. Wie ja richtig geschrieben, ist eine Fahrt mit 1,3 Promille eine Sraftat, die nicht umsonst auch mit einer Freiheitsstrafe also Gefängnis geahndet werden kann. Jeder weiß, dass man mit zu viel Alkohol kein Auto fahren darf. Tut man es trotzdem, hat man auch die Konsequenzen zu tragen. Diese hatten in diesem Fall offenbar einen angemessenen Lerneffekt zur Folge, was erfreulich ist. Tatsächlich sollte die Dame bei allem Ärger froh darüber sein, dass ihr im nächtlichem Wohngebiet kein Mensch vors Auto gelaufen ist.
Liebe Stephanie, Danke für den ausführlichen und wichtigen Kommentar. Ich bin ehrlich gesagt, auch etwas hin und her gerissen. Einerseits verstehe ich meine Freundin, die wirklich ein komplett „unbescholtener“ Mensch war und dann ein ganzes Jahr litt – von den Kosten ganz abgesehen. Andererseits gehen in besagten Wohngebiet – Herzogpark – nachts die Hundebesitzer Gassi, es hätte also durchaus etwas passieren können. Ihr selbst übrigens auch. Im Grunde kam die Sache genau zur richtigen Zeit im Leben meiner Freundin. Aber das weiß man ja immer erst wesentlich später….Beste Grüße Annette Weber