Nach Mathildas Geburt lief alles nach meinem Plan, die Aufteilung – ich Job, er daheim – funktionierte. Es war ein wunderschönes Jahr voller Harmonie und Glück. Dachte ich. Aber das hatten wir ja schon.
In Wahrheit war Thomas unzufrieden und litt unter seiner Enteierung, wie er es später nannte. Ich bekam das nicht mit, denn ich arbeitete ja wie verrückt und wenn ich abends nach Hause kam, galt meine ganze Aufmerksamkeit unserer Tochter. Tagsüber ging Thomas mit Mathilda im Kinderwagen spazieren. Alle anderen Männer arbeiteten, er schob den Kinderwagen. Er fütterte Mathilda, badete sie, ging mit ihr zum Arzt – und fühlte sich arbeitenden Männern unterlegen.
Mathildas ersten Geburtstag wollten wir groß feiern. Eine Party mit Zauberer und Luftballons und toller Torte. Da Thomas mich im Vorfeld mit seinem ständigen geht-nicht-klappt-nicht-verstehe-ich-nicht wahnsinnig machte, übertrug ich die Organisation kurzerhand einem exklusiven Party-Service. Ich gab die grobe Richtung vor und meine Assistentin kümmerte sich um die Details. Thomas war raus. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn kurz bevor die Gäste kamen, zettelte er einen Streit an und sagte: ich gehe jetzt. Und kam nicht mehr. Es war irre peinlich und schrecklich kindisch.
Er blieb fast die ganze Nacht weg, ich war wütend und verzweifelt, aber auch dankbar, als er wieder kam. So geht das nicht weiter, meinte er, ich muss wieder arbeiten. Wir einigten uns darauf, dass ich ein Kindermädchen für Mathilda einstellte und er zumindest halbtags für sich Zeit hätte.
Es wurde ein Ganztagsjob daraus – für unser Kindermädchen, Josie. Thomas tat sich lange schwer eine neue Stelle zu finden, deshalb nahm ich die Sache selbst in die Hand. Ich fragte bei einem Kunden, ob er nicht bei der Firmenzeitung etwas für Thomas tun könnte. Tatsächlich bekam er einen Vorstellungstermin. Aber Thomas rümpfte arrogant die Nase über dieses „Blättchen“. Das ist DEIN Niveau schrie er, Deine oberflächliche Gardinen-Welt, wer braucht das denn und wieder endete ein nett gemeintes Angebot in einem fürchterlichen Streit. Er putzte mich runter, wo er konnte, kritisierte mein Äußeres, mein Kleidungsstil, meine Erziehung, ja sogar die Art meine Firma zu führen.
Irgendwann rief der „Express“ an. Ein Job. Im Lokalteil. Als freier Mitarbeiter. Halbtags. Hauptsache er ist von der Straße, dachte ich. Aber ich hatte die Achtung verloren, vor dem großen tollen Intellektuellen, dem Super-Schreiber und künftigen Publizistik-Gott. Ich hatte mich weiter entwickelt. Meine Ernährung umgestellt, abgenommen, schicke Kleider gekauft, Kunst gekauft, eine Wohnung gekauft, ein Ferienhaus gekauft, und umgebaut, eine dritte Fremdsprache gelernt – Italienisch. Er war stehen geblieben.
Selbst die Urlaube verbrachten wir nach Möglichkeit getrennt. Ihm waren meine Malediven zu schickimicki und ich konnte vor Weihnachten nicht Skifahren, weil das die Hoch-Zeit im Business ist.
Und dann kam Dorotha. Sie ist die beste Freundin von unserem polnischen Au Pair. Sie kam jeden Nachmittag zu uns mit der kleinen Laura, die in die gleiche Klasse geht wie Mathilda.
Dorotha ist nicht einmal wahnsinnig hübsch. Sie ist pummelig, klein und hat dünn gezupfte Augenbrauen. Ein bißchen billig sieht sie aus. Nicht RICHTIG billig, aber gewöhnlich, durchschnittlich. Sie betet Thomas an und darauf steht er. Das merkte ich schon, als ich noch nichts von dem Verhältnis wußte. Sie lachte über jeden seiner billigen Scherze, was ihn erst recht animierte weiter zu machen. Ich weiß bis heute nicht, wie und wann es mit den beiden los ging. Über was sie wohl gesprochen haben? Thomas, der anspruchsvolle Germanist und ein einfältiges Kindermädchen?
Die Affäre flog auf, eine SMS, der Klassiker. Ich blieb zunächst ruhig. Sagte ihm, er solle die Sache souverän beenden, ich würde ihm verzeihen. Aber er wollte es nicht beenden. Er wollte UNS beenden. Er sagte, wie unglücklich er die letzten Jahre gewesen sei. Mit mir, seiner anstrengenden Frau. Dass er meine Besserwisserei nicht mehr ertragen könne. Meine Selbstgerechtigkeit, meinen ewigen Erfolg, meine schreckliche Disziplin, meine ständige Bereitschaft für den Beruf alles stehen und liegen zu lassen, meinen verbissenen Perfektionismus, meine unbefleckte Makellosigkeit.
Seine Worte taten so weh. Ich fühlte mich derartig missverstanden. Alles hatte ich daran gesetzt, eine glückliche Familie zu formen, zu ernähren, zu erhalten. Ja, das war anstrengend. Aber bin ICH deswegen anstrengend geworden? Ist es überhaupt möglich, eine emanzipierte Frau zu sein und NICHT anstrengend?
Thomas und ich sind jetzt seit 9 Monaten getrennt. Er ist mit Dorotha zusammen gezogen, ich höre, dass sie oft ausgehen. Er hat sich verändert, trägt die Haare modisch kurz und enge Lederhosen. Er hat ein Motorrad gekauft und trainiert in einem Fitness-Club. Ich glaube sein Leben mit der jungen Frau is ganz schön anstrengend!
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