Beitragsfoto: sich festklammern….. hilft oft wenig. Besser: loslassen. Copyright: Glamometer
Sabine sitzt am Küchentisch und schaut in den Nachthimmel von Düsseldorf. Es ist eines dieser modernen Architekten Hochhäuser in der angesagten Gegend mit modernster Haustechnik und jedem nur erdenklichen Luxus. 60qm, Schlafzimmer, Ankleide, offener Living Bereich. Der „Küchentisch“ ist eine schwarze Marmor-Bar mit Barstühlen vor einer eleganten Boffi Zeile. Die Fenster raumhoch, der Blick, hier aus dem 6.Stock, bis weit über den Rhein nach Oberkassel. Erlesen und erhaben. So will sie das. So wollte sie das. Bis….
Sabine öffnet die zweite Flasche „Black Print“, es ist der Lieblingswein von Thomas, aber Thomas ist nicht da. Thomas ist bei seiner Familie.
Ich rufe Dich an, sobald die Kinder im Bett sind und meine Frau vorm Fernseher sitzt, sagte er. Das ist jetzt 5 Tage her. Aber er hat nicht angerufen. Nicht um 8 Uhr, nicht um 9 Uhr nicht um 10 Uhr. Um 11 Uhr ruft Sabine IHN an. Sein Handy klingelt. Klingelt. Klingelt. Sie lässt es lange klingeln. Zu lange? Oder nicht lang genug? Sabine wird sich diese Frage in den nächsten Tagen immer wieder stellen. Sie quält sich mit der Antwort. War sie zu aufdringlich? Hat er ihr nicht eingebläut, NICHT anzurufen, damit siehe Frau nichts merkt, weil sie doch sein Handy checkt?! Andererseits: Vielleicht war er ja kurz weg, in der Toilette, der Küche, sonst wo, und seine Frau hat den Anruf bemerkt und dann einen Streit angezettelt. Oder das Handy selber ausgestellt?!.
Bei ihrem nächsten Anruf ist die Voicemail dran. Sabine hinterlässt erst nichts. Aber dann immer längere Nachrichten. Melde Dich doch. Gehts Dir gut?! Melde Dich doch mal bitte. Ich mache mir langsam Sorgen. Thomas, jetzt melde Dich halt mal, ich mache mir große Sorgen. Thomas, was soll das denn, warum meldest Du dich denn nicht….und irgendwann war das Handy ganz aus. Hat ER es ausgestellt? Oder SIE, Tamara, seine Frau?
Sie nimmt ihren ganzen Mut zusammen. Ruft in seiner Firma an. Seine Sekretärin ist dran. Wimmelt sie ab. Er ruft zurück. Ganz sicher. Aber er ruft nicht zurück. Er ist verschwunden, ein: GEIST.
Sabine schenkt sich den Black Print in ihr wuchtiges Rotweinglas. Es ist aus der Sommelier Serie von Riedl, sie hat es für Thomas gekauft. Sie hat überhaupt ALLES für Thomas gekauft. Die Wohnung, die Einrichtung, die Bettwäsche, die Gläser. Sie wollte ihn beeindrucken. Zeigen, wie toll sie ist. Toller als seine Frau. Besser. Schicker. Jünger. Attraktiver. Es soll sie verlassen, diese Spießerin, diesen Trampel, diese…. Hausfrau! Ja, sie ist nichts als eine dumme kleine Hausfrau denkt sich Sabine und ihre Wut wird groß und heftig und panisch und übermächtig und sie wirft das teuere Glas mit aller Wucht auf das Parkett und es zerspringt und der Wein läuft in alle Richtungen.
Thomas ist verheiratet, hat 3 Kinder und eine nervige Frau von der er sich trennen will. Das war der Status vor 4 Jahren, als sie sich kennen lernten. Es ist noch immer der Status. Bei Thomas hat sich nichts verändert.
Sabine ist 38 Jahre alt, Rechtsanwältin, blond, schlank, durchtrainiert, klug, guter Geschmack, gut im Bett, was hat sie nicht alles für ihn angestellt, seine manchmal schrägen Sex-Wünsche erfüllt, sie macht das gerne, nein, sie macht es nicht gerne, aber sie macht es halt, lässt es mit sich geschehen, was soll sie machen, sie will Thomas nicht verlieren, sie kann ihn halten, wenn sie besser im Bett ist, als seine langweilige Frau Blümchensex.
Sabine wischt den Rotwein auf, mit einer Küchenrolle, sie braucht die ganze Rolle und dann scheidet sie sich an den Scherben, sie blutet, nicht schlimm, es ist der der Schmerz in ihrem Herzen, der jetzt nach oben kommt, denn Sabine schluchzt LAUT, VERZWEIFELT, sie schreit und krümmt sich auf dem Boden, sie robbt sich ans Fenster, die Lichter da draußen, so viele Lichter, so viele Menschen, aber SIE ist allein.
Sabine war 34 Jahre alt, als der Blitz sie traf. Thomas. Damals 48 Jahre alt, und wie heute ihr Traumtyp mit den braunen Augen, sanften Lippen und den dunklen Locken, die mittlerweile an den Schläfen ergrauen. Er ist Marketing-Chef bei einem Mode-Konzern, es gab damals Probleme in einer Markenschutz Sache, so lernten sie sich kennen. Sabine macht Markenschutz in einer großen, internationalen Law Firm. Sie liebt ihren Job, die internationalen Kunden, Düsseldorf….
Keiner hätte gedacht, dass es Sabine einmal so weit bringt. Sie kommt aus Duisburg. Arbeiterfamilie. Ausbildung zur Bürokauffrau galt schon als „Karriere“, dann zweiter Bildungsweg. Sie war lange mit ihrem Jugendfreund zusammen. Hafen Logistiker. Nachbarskind. Aber irgendwann… als sie dann studierte, da passte es nicht mehr zusammen. Manchmal sieht sie ihn noch, Weihnachten, bei den Eltern. Da kommt er kurz rüber. War ja wie der Schwiegersohn. Ist jetzt mit einer anderen verheiratet. Hat gerade das zweite Kind gekriegt…..
Was wäre wenn… Sabine stellt sich die Frage immer wieder. Was wäre wenn… sie damals in Duisburg geblieben wäre? Die Frau eines Hafenarbeiters. Nein, das wollte sie nie sein. Was wäre wenn… Thomas anrufen würde? Würde sie ihn beschimpfen, oder würde sie ihm verzeihen? Was wäre wenn… sie Thomas gar nicht kennen gelernt hätte? Sich nicht in ihn verliebt hätte? Wäre sie jetzt glücklich? Und nicht allein, hier, in dieser großen, kühlen, anonymen, viel-zu-teuer-Wohnung?
Es war von Anfang an Besonders. Thomas war ein bißchen arrogant und das gefiel Sabine. Er hatte diese langen, schlanken Finger und gepflegte Hände. So was kannte sie nicht. Seine schicken, dunkelblauen Anzüge, die Lederschuhe, erlesene Krawatten, Einstecktuch. Thomas war für Sabine die Große Weite Welt. Anders als die robusten und derben Männer aus ihrer Familie. Und auch anders als die Studenten und Freunde aus der Juristischen Fakultät. Er war zuvorkommend, charmant und aufmerksam, ein Gentleman. Es kam, wie es kommen mußte. Lange Telefonate, die immer privater wurden, ein Lunch Date, getarnt als Business Termin, ein Abendessen, ein zweites, dann Happy End.
Doch, Sabine wußte von Anfang an, dass er verheiratet war. Sie sprachen oft über Tamara, seine Frau. Thomas fand Tamara zu „einfältig“. Ich brauche eine intelligente Frau, mit der ich auch mal über Wirtschaft und Politik diskutieren kann, sagte er. Meine Frau interessiert sich nur für Kinder, Haushalt und das Geschwätz ihrer Freundinnen. Sie ist übellaunig, ständig am nörgeln, ihr passt NIE was, sagte Thomas, dabei ermögliche ich ihr ein Leben in Saus und Braus mit Haus und Garten und Mini-Cabrio. Außerdem… nach 2 Kindern und 15 Kilo mehr auf der Waage, war Thomas auch sexuell nicht mehr angetörnt von seiner Frau. Sie hatten längst keinen „richtigen“ Sex mehr. Wie er es sagte. Einmal durch die Wohnung ficken, in allen nur erdenklichen Stellungen und dann… Nein, zwischen Thomas und Tamara lief nichts mehr. Er sprach von einer „Kameradenbeziehung“.
Natürlich fühlte sich Sabine überlegen. Haushoch überlegen. Sie war jünger, schöner, sexier, klüger…. es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis Thomas sich trennen würde.
Doch dann kam das dritte Kind. Sabine erfuhr es über Facebook. Thomas Frau Tamara postete auf Facebook ihr „freudiges Ereignis“. Sabine zog es den Boden unter den Füßen weg. Es war ein Schlag ins Gesicht und in die Magengrube gleichzeitig. Eine Woche lang konnte sie nichts essen, nicht zur Arbeit gehen, sie heulte und war verzweifelt. Wie konnte er ihr das nur antun? Sie hatten doch angeblich keinen Sex mehr?!
Damals, es ist ein gutes Jahr her, hat Thomas richtig Gas gegeben. Er hat 1000 mal angerufen, Nachrichten geschickt, als sie nicht antwortete, kamen Blumen und schließlich stand er selbst vor ihrer Tür. Damals noch in Unterbilk.
Sie führten Gespräche. Gute Gespräche. Stundenlang. ER sprach zum ersten Mal von Trennung – von seiner Frau. Das Baby, ein einmaliger Ausrutscher. Er hatte das Kind nicht gewollt, er würde sich trennen, er wollte nur warten, bis ….
Sabine hat alles geglaubt. Vielleicht hat es auch Thomas geglaubt. In der Situation. Hin- und hergerissen zwischen Babygeschrei und Geliebter-Geheule. Emotional am Limit.
Sabine hat dann aufgerüstet. Die Wohnung in Unterbilk, gemütlich, groß, aber… gewöhnlich, schon die graue, spießbürgerliche Straße. Nein, Thomas sollte sich wohl fühlen bei ihr. DAHEIM. Er brauchte eine Umgebung, die zu ihm, seinem Status, seiner Persönlichkeit passte. Ihr wurde klar, dass er nicht von Oberkassel nach Unterbilk ziehen konnte. Was für ein Abstieg…
Sabine machte sich klein und Thomas groß. Ihr Selbstbewusstsein schwand mit dem luxuriösen Appartement und der materiellen Ausrüstung, die sie sich zulegte. Nicht für sich. Für Thomas. Allein die ganzen Gläser! Für was braucht man drei verschiedene Weingläser? Sektgläser UND Sektschalen? Für was braucht man weisses KPM Porzellan und poliertes Robbe & Berking Silber, wenn man ohnehin nicht zusammen kocht, isst, sondern nur….ins Bett geht?!
Wie lächerlich bin ich eigentlich?
Sabine fasst sich. Sie atmet regelmäßig, bewußt. NICHT heulen. Einatmen, ausatmen. Sie sitzt immer noch auf dem Boden. Guckt in die Lichter der Großstadt. Was wäre wenn… Sabine morgen früh einen Headhunter anruft und einen Job in München annimmt? München, die Stadt ihrer Träume. Hat sie nicht schon so viel geschafft in ihrem Leben?! Sie ist 38 Jahre alt…JUNG. Zeit für einen Neubeginn…
P.S. Sabine wohnt seit März in München, NOCH in Airbnb und sucht dringend eine bezahlbare Wohnung….