Beitragsfoto: Copyright Glamometer
Nein, Anna würde NIE etwas böses sagen. NIE! Die liebe, gute Anna, das kleine Engelchen, immer nur lieb und…blablabla…ich hasse Anna. Sie ist eine falsche Schlange, sie ist eine Drecksau. So, es ist raus und mußte mal gesagt werden.
Anna ist seit einem Jahr bei uns in der Firma. Das „Küken“ haben wir sie am Anfang genannt, weil sie neu war und jung. Sehr jung. Anna ist 24, wir sind alle in unseren Vierzigern, also 20 Jahre älter. Es ist ein gemischtes Frauen- und Männerteam, eine Foto-Agentur.
Die Agentur wurde vor 20 Jahren gegründet, damals kamen Paparazzi Fotos in Mode und People Journalismus boomte. Wir waren am Puls der Zeit. Jung, hungrig, immer da. Abends gingen wir zusammen aus, stürzten ab. Es war eine geile Zeit. Heute kriselt es gewaltig, wir haben die zweite Entlassungswelle hinter uns. Anna wurde nur deshalb eingestellt, weil sie ein Jahrespraktikum absolvieren wollte – quasi zum Nulltarif.
Anna ist miniklein und superdünn, hat ein umwerfendes Lächeln und dunkle Locken, weil ihre Eltern irgendwo aus dem Südosten kommen. Sie ist wirklich hübsch. Ein Püppchen. Und wirkt deshalb eben auch ganz anders, als sie in Wirklichkeit ist.
Anna ist soooo hilfsbereit. Beziehungsweise: sie WAR es. Am Anfang kam sie jeden Tag früher, räumte die Spülmaschine aus und kochte Kaffee für alle. Und in der Kaffee-Küche…trifft man die Leute. Hört den neusten Tratsch…und fängt selber an, sich in das Geschehen ein zu mischen. Anna hat erstmal nur zugehört. Unglaublich, dass ich das jetzt so klar analysiere, denn damals, am Anfang….
…erzählte ich dem süßen unschuldigen Mädchen nach kurzer Zeit ein paar Interna, die ich besser verschwiegen hätte. Beispielsweise dass Mona eine Ehekrise hat und mit ihren zwei Kleinkindern plus Job plus Mann überfordert ist, weshalb sie Punkt 4 Uhr den Griffel fallen lassen muss, damit sie die Kids noch von der Kita abholen kann. Monas Arbeitszeit endete offiziell natürlich, wie bei uns anderen auch, um 17 Uhr, deshalb ging sie „heimlich“, also nur nach Absprache mit uns, dem Team, das durfte unser Chef aber nicht so genau wissen. Wir anderen arbeiteten für Mona mit und sie kam dafür morgens auch bissl früher. Wenn möglich.
Von dem Zeitpunkt an, brühte Anna genau um 4 Uhr nochmal neuen Kaffee auf und stellte selbstgebackene Blaubeer Muffins in die Kaffee Küche, so dass alle kurz NACH Vier nochmal zusammen kamen. Alle – außer Mona natürlich, und das brachte Anna erst langsam aber dann immer deutlicher zum Ausdruck. Vor allem wenn Gerry, unser Agenturbesitzer, dabei war.
Erst waren es so Sprüche wie: Moooooona, wo bist Du denn? Moooonaaaaa??? Ach Mona ist ja schon gegangen, schade….
Dann so: Du Gerry, schau, die Fotos sind gerade aus L.A.gekommen, ich würde sie gerne anbieten, aber Mona ist schon weg, was meinst Du, ich will ja nichts ohne sie entscheiden…
Immer war ein Heiligenschein um ihre Worte, es war vergiftetes Lob, aber das checkte ich erst später.
Gerry kam „selber“ auf die Idee, dass Mona tatsächlich weniger arbeitete, als wir anderen. Wie gesagt, die Agentur läuft nicht so Bombe, da stürzt man sich auf Nebenkriegsschauplätze. Gerry fing an Mona zu beobachten und überwachen, er verbot ihr schließlich um 4 Uhr zu gehen, es spielten sich Dramen ab, es gab Tränen, laute Worte, Streit und schließlich eine Kündigung aus freien Stücken und eine freie Stelle…und die bekam: Anna.
Als nächstes kam Frank dran. Frank ist Ressortchef „Mode“, ein typisches männliches Fashion Victim, lustig, schwul, immer in den neusten Designer-Klamotten und mit den angesagten Adressen aus dem Nachtleben. Er hatte eine On- und Off-Beziehung zu einem Stylisten in Mailand und war deshalb super über die neuen Trends informiert. Dachten wir.
Annas Zunge spritze ihr Gift nur, wenn Frank NICHT dabei war. Er traf sich oft mit Modefirmen oder Moderedakteuren, reiste manchmal mit auf Shootings. Und in dieser Zeit kamen Annas Gift-Pfeile.
So wie: …ja, schon okäääääiiiiii die Bilder, aber…….lange Pause….naja…ich will niemandem zu nahe treten, ich LIEBE Frank….aber SO hat man in den Nineties fotografiert, die ganze Ästhetik, Oldschool.
Gerry fragte immer öfter, was SIE, Anna, die Stimme der Jugend, von den Fotos hielt, und Anna rammte Frank den Dolch in den Rücken, in dem sie sagte: Ich liiiiiiiebe Frank, er ist so herrlich retro, und überhaupt mega, dass ein Typ in SEINEM Alter, aber wenn ihr MICH fragt, JUNG ist was anderes…..
Sie sprach von Frank wie von einem Greis, nein, wie von einer skurrilen Mumie aus einer vergangenen Ära. Alt und vorbei und nicht am Puls der Zeit. Der Gute ist mittlerweile total untendurch bei Gerry, eine „Lame Duck“, er darf nichts mehr entscheiden, muss sich für alles rechtfertigen, er, der sensible Frank, ist ein schwitzendes Wrack.
Und Gerry, geplagt von Selbstzweifeln, weil er über 50 ist und sich fragt, ob er selbst noch alles so checkt, legt mittlerweile nur noch auf eine Meinung Wert: die von Anna.
Die Stimme der Jugend hat mittlerweile alle Hemmungen abgelegt. Erzählt oft einen rechten Schmarren. Angebereien. Sie hätte in Paris Mode studiert. Dabei spricht sie kein Wort Französisch. Darauf angesprochen, behauptete sie, man hätte dort Englisch geredet. Bei der amerikanischen Vogue hätte sie ein Praktikum gemacht. Dabei war sie noch nie in ihrem Leben in New York gewesen – das geht nämlich nicht, weil sie die Deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzt und mit ihrem Pass kein Visum bekommt.
Und es kommt noch toller:
Anna lieh sich Geld von uns. Und gab es nicht zurück. Aber nicht so offensichtlich, so: kannst Du mir Geld leihen… Ihre Masche war, wenn wir zum Mittagessen raus gingen: Du, kannst Du mir bitte bitte eine Acai-Bowl mitbringen…und dann hatte sie leider leider das Geld daheim vergessen und würde BESTIMMT MORGEN bezahlen, aber dazu kam es nicht. Sie vergaß es wieder. Und wieder. Und dann hatte man es selber vergessen. Jeder von uns hat Anna auf diese Weise unfreiwillig Essen „spendiert“. Jeder.
Seltsame Dinge ereigneten sich. Fritzis Burberry Schal fehlte. Unauffindbar. Tom’s Ray Ban Sonnenbrille verschwand. Mir fehlten 20 Euro im Portemonnaie, wobei ich mir dann plötzlich nicht mehr sicher war, weil, naja, vielleicht hatte ich sie doch ausgegeben, aber die Woche drauf hatte ich wieder das Gefühl, dass zu wenig Geld in der Brieftasche war ….
….aber am schlimmsten ist, was JETZT verschwand: Fotos. Richtige Fotos. Old School Fotos. Die nicht auf einem Datenstick gesichert waren. Das gibt es nur noch selten, es war die Produktion eines großen alten Fotografen, der noch analog schießt. Frank war bei dem Shooting extra dabei und brachte die Fotos mit in die Agentur. Eine Titelgeschichte für eine große Modezeitschrift, Wert 50.000 Euro. Frank legte sie abends auf seinen Schreibtisch. Schwört er. Aber da sind sie nicht. Sie sind unauffindbar. Und jetzt ist die Hölle los. Gerry flippt nur noch aus, er tobt und wütet und beschimpft Frank, der vollkommen fertig ist. Ich habe ihn in all den Jahren nie so erlebt. Er zittert, er weint. Ein erwachsener Baum von einem Mann weint wie ein kleines Kind. Er weiß, dass Gerry ihn fristlos feuert, wenn die Fotos nicht bald auftauchen. Die Zeitschrift hat schon angerufen, wo alles bleibt…
..ich weiß genau, dass ich die Fotos HIER her gelegt habe….Anna, Du warst doch gestern am längsten hier, ist Dir nichts aufgefallen….
MIR? Aufgefallen? Ich war nicht mal in der Nähe Deines Zimmers Frank und mir jetzt zu unterstellen, dass ICH die Fotos hätte, nein ist das primitiv, Deine Schuld auf mich, die kleine Anna abzuwälzen…..
Anna heult jetzt theatralisch, wir merken es alle, es ist kein echtes Weinen, da fehlt die Verzweiflung, es sind billig herausgepresste Krokodilstränen, die miese kleine Schlampe hat die Fotos genommen, das ist uns allen jetzt klar und uns ist noch mehr klar, weil Gerry jetzt auf sie zu stürmt, sie in den Arm nimmt, das macht er nicht zum ersten Mal, und sie schluchzt noch erbärmlicher, die kleine Schauspielerin, ich schaue Fritzi an und sie nickt mir zu und wir beide wissen, heute bleiben WIR länger in der Agentur. Wir werden gemeinsam Annas Schreibtisch durchforsten. Und wir wissen schon, was wir dort finden….
Super Geschichte! Solche miese „Kücken“ kann man überall treffen! Jung, frech, Haare auf den Zähnen , aber wenn man tiefer bohrt, haben die nichts dahinter!
Lieben Dank Jana für Ihre Zuschrift. Und ja, das ist LEIDER so! Lieben Gruß….