Ich hatte das Vergnügen, Monsieur Alaïa in den späten 80er Jahren kennen zu lernen, als junge Moderedakteurin, er war damals schon auf dem ersten Zenith seines Schaffens. „King of Cling“, König des Stretches feierte ihn die Presse, weil er als erster mit „schockierenden“ Materialien wie Lycra, Latex, Leder und Stretch experimentierte, und seine Entwürfe auch noch mit Schnallen und Lochmustern garnierte, ergänzt durch Push-Up-BHs, eingearbeitete Höschen und Bodies.
Alaïa, ein winziger Mann von nur 1,58cm Körpergröße, hatte gerade ein paar unbekannte Mädchen entdeckt, die hießen Naomi Campbell, Stephanie Seymour und Veronica Webb und sollten später als „Supermodels“ in die Modegeschichte eingehen. Und dann muss man auch den unglaublich illustren Kundenkreis von Alaïa erwähnen, von Grace Jones über Cécile de Rothschild bis Opern-Orkan Jessye Norman. Jeder, wirklich jeder, der etwas auf sich hielt, trug damals Alaïa, es war vornehm und verrucht zugleich, es passte zu den ausgeflippten, unbeschwerten 80er Jahren.
Ich möchte hier weder einen modehistorischen Exkurs schreiben noch ein Firmenportrait für die Richmond-Gruppe, zu dem Alaïa mittlerweile gehört. Ich möchte nur betonen, dass Alaïa, auch bis vor kurzem noch, als beispielsweise Michelle Obama beim Nato-Dinner in Strassburg 2009 in ihrem legendären Alaia Kleid die Generäle bezauberte, dass dieses Label auch von feinen DAMEN getragen wurde.
What happened? Was ist passiert?
Folgender Dialog erhellte (oder verdunkelte muss man besser sagen) meine Ansicht über Alaïa.
Society Lady A: „Du, der Schorschi hat wieder eine Neue. Diesmal 30 Jahre jünger…“
Society Lady B: „Und die Grundausstattung hat sie auch schon geschenkt bekommen. Stretch-Dress von Alaïa, Peeptoes von Louboutin und die Boy-Bag von Chanel.“
Society Lady A: „Vergiss nicht den Busen, den hat er ihr auch gleich mit bezahlt. Doppel D, wie immer…“
Beide kichern…..
Das Stretch-Dress von Alaïa, der Männer Magnet. Es betoniert die Taille, macht sie schmal und drückt den Busen nach oben, gleichzeitig modelliert es scharfe Kurven, das sieht super aus. Es ist genial, um gewisse Problemzonen zu verdecken, wie dicke Oberschenkel, denn der Rock ist glockig ausgestellt. Und kurz, das wirkt sexy. Wenn Frauen 100 Prozent sicher gehen wollen, dass sie einen Mann verführen wollen, tragen sie Alaïa.
Ein Kleid von Alaïa kostet mindestens 2500 Euro. Wer kann sich so etwas leisten? Eine Frau, die ein erfolgreiches Startup gegründet hat und sich jetzt über den geilen Exit freut – Unwahrscheinlich. Die Tech Szene mag’s cool und Startup trägt Startup, also junge Designer. Hat sie einen vermögenden Vater?! Garantiert nicht, denn der vermögende Vater erzieht eine höhere Tochter – mit Understatement. Selbst verdient im Angestelltenverhältnis? Komplett andere Prioritäten und NULL Tragegelegenheit.
Ich denke an meine letzen Reisen nach Dubai und Monte Carlo zurück, daran, das gewisse Damen, die eigentlich keine sind, immer genau DIESE beschriebene Uniform wirklich tragen, inklusive Silikon. Wenn eine Frau ein so teueres Kleid trägt, könnte sie sich für das gleiche Geld jede andere Marke der Welt leisten. Sie muss Alaïa also nicht tragen, sie WILL es.
Alaïa und Louboutin, das sind die Erkennungszeichen der internationalen Golddiggerinnen, die damit in die Zukunft investieren.
Kurz-Umfrage in der Glamometer Redaktion: wer trägt Alaïa Kleider und warum?
Raquel sagt: „Mein erstes Alaïa Kleid bekam ich von meiner Mutter geschenkt, ein Vintage Modell aus den 80er Jahren, gekauft bei Marion Heinrich in München. Es ist schwarz, aber nicht aus diesem typischen Stretch-Stoff, der alles weg drückt. Als ich in London lebte, legte ich mir zwei „neue“ Alaïa Kleider zu, ich dachte, die wären halt so ein Status-Symbol. Aber ich habe sie mittlerweile verkauft, mein Mann mag sie nicht. Auf der Second Hand Plattform „Vestiaire Collective“ findet man 6950 Artikel von Alaïa zu absurd günstigen Preisen. Ich war traurig, als ich weniger als ein Viertel des Kaufpreises erlöste. Zunächst wollte ich die Kleider noch bei einem stationären Händler anbieten, doch der winkte nur ab. Alaïa Kleider sind Ladenhüter, sagte er.“
Viky sagt: „Mein erstes Alaïa Kleid kaufte mein Mann mir in Paris. Es war mein Herzenswunsch. Ich verehrte Alaïa seit Jahren und war richtig aufgeregt. In der Boutique stand eine Kundin neben mir mit einem riesigen Kleiderständer voller Kleider, die alle für sie reserviert waren. Die Frau war absurd operiert, richtig abschreckend und das sah verzweifelt aus. Und dann probierte sie das Kleid, dass eigentlich ICH gewollt hatte. Und ich fragte mich: Ist DIES die neue Alaïa Kundin? Alaïa trugen früher nur die Ikonen, Naomi Campbell und all die tollen Frauen. Wir kauften das Kleid trotzdem und es bleib auch nicht das letzte. Aber seit der Geburt meines ältesten Sohnes fühle ich mich in Alaïa richtiggehend verkleidet. Ich fühle mich billig darin. Und Tussig. Irgendwie hat sich das Image geändert. Vielleicht muss man Alaïa Kleider so stylen, dass sie etwas Cooles bekommen, nicht mit Highheels, sondern mit Sneakers oder Boots.“
Und dann schaue ich mir das Instagram Profil von Azzedine Alaïa an. Über eine halbe Million Follower. Mega schick. Wirklich schick. Stilvoll. Cool. Modern. Warum hat Alaïa nur so einen seltsamen Ruf, nein Ruch, bekommen? Es ist das Paradebeispiel für die Gentrifizierung einer Modemarke. Was kann man tun, wenn plötzlich die „Falschen“ Deine Marke tragen? Wie steuerst Du die Positionierung, wenn Deine Outfits das Erkennungszeichen einer gewissen Gruppe werden, die Du garantiert nicht als Kunden willst. Oder etwa doch?
Ich erinnere mich an ein Abendessen in Paris, wir saßen mit einem sehr berühmten Schuh-Designer, dessen Signature-Sandalette soeben Kim Kardashian getragen und auf Instagram gepostet hatte. Er stellte sich die Frage: ist das gut oder schlecht für meine Marke. Soll ich das Foto reposten? Einerseits hat Kardashian kein hochwertiges Image, feine Frauen fühlen sich abgetörnt. Andererseits…..mit DIESER Positionierung machst Du das große und schnelle Geld….
Fotoquelle: Instagram
Alaïa ist schon seit Jahren nicht mehr Alaïa, spätestens seit es zur Richmond-Gruppe gehört. Das waren früher ganz andere Kleider. Ich bezweifle, dass er diese Kleider, die sie oben beschreiben, überhaupt selbst gesehen hat.
Das ist für mich überhaupt nicht Alaïa.
Hervé Leger ist auch so ein Beispiel, immer die gleichen Kleider. Eng, kurz, langweilig. passt ‚wunderbar‘ zu Louboutin-Plateaus..
Mode ist heute zu 90% zu Styling verkommen…siehe Saint Laurent etc. Schöne, top geschnittene Kleidung, in top Qualität, muss man suchen. Große Modehäuser, Designer dürfen u sollten sich durchaus weiter entwickeln, sie sollten aber einen Wiedererkennungswert haben, stattdessen werden sie immer beliebiger..
Einige Marken haben aber eine verblüffend robuste Aura, Rolex, z Bsp. Selbst die Tatsache, dass neun von zehn Zuhältern auf St. Pauli diese Uhr tragen, kann dieser Uhr seltsamerweise nichts anhaben. Selbst die schlimmste „Massclusivity“ kann ihr nix anhaben…. Alaïa sucht Seinesgleichen, das, was wir die letzten 10-15 Jahren in den Geschäften sahen, von M Heinrich, über Montaigne Market bis zu Harvey Nichols, hat nichts mehr mit einem „Mon coeur est à Papa“ zu tun…
Danke für diesen ausführlichen, kompetenten und hilfreichen Kommentar!! Lieben Gruß Annette