Kennen Sie das? Sie freuen sich auf einen tollen Abend mit interessanten Menschen – und enden neben dem einzigen Arschloch in der Runde. Mir passiert das leider öfter, denn ich bin nett, fröhlich, kommunikationsstark – und ein Lämmchen. Ich kann keiner Fliege etwas zu Leide tun und bleibe auch in turbulenten Situationen höflich, weshalb ich grundsätzlich neben „schwierigen“ Gästen lande.
Diesmal also das stadtbekannte Arschloch. Der Mann hat alles, was man sich im Leben nur wünschen kann, vor allem aber Geld, und deshalb wird er immer wieder eingeladen. An seinem guten Benehmen kann es jedenfalls nicht liegen, denn der Typ ist dreist, ekelhaft und unverschämt und macht stets Witze auf Kosten anderer. Aber wehe, es nimmt IHN mal einer auf die Schippe…. dann wird er rabiat und prügelt sich gelegentlich, schon deshalb finde ich ihn ziemlich furchteinflößend.
Er ist sogar verheiratet, mit einer ausgesprochen netten Frau und wir fragen uns oft, wie sie das mit diesem Widerling aushält. Es war beim Digestif, der Abend schon fast – harmonisch – verlaufen, da schlug das Arschloch zu. „Na, Dir fällt ja auch nichts mehr ein zum Thema Mode…“ Ich: „Wie bitte? Ich hab‘ doch tägliche mehrere Posts auf Instagram?“ Arschloch: „Aber dieses Kleid heute Abend, das hattest Du doch schon im Februar in St.Moritz an? Trägst Du jetzt alte Kamellen auf, das passt ja wohl nicht zum modernen Zeitgeist, den Du immer predigst!“
Auf die Zwölf. Ich war so derartig perplex, dass ich mich beinahe rechtfertigt hätte. Das Kleid ist tatsächlich „alt“, ein schwarzes Cocktailkleid von Saint Laurent, als die Marke noch von Heidi Slimane designt wurde – sein Vertrag dort endete bekanntlich 2016. Es ist ein unglaublich schickes Kleid aus schwarzem Samt, hoch elegant aber auch cool, ich habe es selten an, weil man dafür einen passenden Anlass braucht.
Es ist eines von den Kleidern, die man „für gut“ aufhebt. Die man immer mal wieder trägt. Meistens sind diese Kleider (oder auch Mäntel) bei mir von Akris, die schleppe ich seit Jahren und sie werden einfach nie unmodern.
ABER die Faktenlage ist tatsächlich so: dieses Saint Laurent Kleid war NICHT NEU, es war GETRAGEN, es war GESEHEN, es war….langweilig, out und cheap. Es hat mich in den Augen des Betrachters imagemäßig nach unten gezogen. Punkt.
Ich habe lange über die Episode nach gedacht. Zunächst habe ich mich fürchterlich geärgert, wer ist der Typ überhaupt, dieses blöde Arschloch, aber dann…es ist seine Wahrheit.
Im Social Media Zeitalter geht es tatsächlich um den neusten Thrill. Es geht um Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist das höchste Gut und die krasseste Währung der Jetzt-Zeit. Wer auffallen will, muss sich unter Millionen von Menschen weltweit durchsetzen, denn Instagram, Facebook, Twitter und Pinterest enden ja nicht vor unserer Haustüre. Die Konkurrenz (um Aufmerksamkeit) ist international. Überall. Fällt man auf mit einem alten Kleid? Nein. Fällt man auf mit dem heißen Scheiß? Ja. Noch Fragen?
Klar, Instagram ist nicht die reale Welt, aber die Mechanismen haben sich verselbständigt. Mode ist heute nicht mehr exklusiv. Weltweit gibt es das gleiche Angebot, 24/7 online erhältlich, es gibt die vertikalen Anbieter, die Zaras dieser Welt, die machen Massen-Mode zu Discount-Preisen, das ist Porno und trägt dazu bei, dass „Mode“ ein Wegwerf Artikel geworden ist. Einmal angehabt? Kauf ich mir ein neues Teil, ist billiger, als das alte zur Reinigung zu bringen. Mode hat keinen Wert mehr.
Und es flutet immer mehr Ware in die Märkte und übersättigt sie. Hilflos sieht die Branche diesen Warenberg als gewaltigen Stolperstein, ist aber nicht in der Lage, etwas sinnvolles dagegen zu unternehmen.
Und wenn schon mittelalte Männer, die mit Fashion nichts am Hut haben, bemängeln, dass ein Kleid, dass mal in der Werbung des Designers als besonders richtungweisend gepriesen wurde von der Trägerin zum zweiten Mal getragen wurde….dann kann ich nur sagen: Houston wir haben ein Problem.
Mein Vorsatz: ich werde mir nichts mehr zu legen, was in irgend einer Anzeigenkampagne gezeigt wurde. Das erkennt man zu schnell…als letzte Saison. Ich werde auf Instagram wieder öfter „alte“ Lieblingsstücke tragen. Kleidung, an die ich mich gewöhnt habe, die ich lieb gewonnen habe, mit der ich Erinnerungen verbinde, die von herausragender Qualität sind und deshalb nicht altern. Basics. Zum kombinieren. Und: ich lasse mir meine Laune nicht von (eigentlichen) Mode-Muffeln verderben.
Liebe Frau Weber,
der Mann mag alles sein, was Sie schreiben, eines aber sicher nicht: ein Modemuffel.
Entweder hat das „stadtbekannte Arschloch“mit der Branche zu tun oder er ist modeaffin. Welcher Mann weiß heute noch, was Sie im letzten Februar in welcher Stadt anhatten?
Meiner wüsste es nicht, es sei denn, an diesem Abend wäre Kennedy erschossen worden, dann hätte eventuell das Kleid eine Chance im zeitgeschichtlichen Zusammenhang gesehen zu werden.
Doch nicht desto trotz sollte man sich den Spaß von solchen Männern nicht am zwei- oder mehrfach Tragen vermiesen lassen. Ein Klassekleid bleibt ein Klassekleid…….