Ich liebe Herrn Schmidt. Und Herr Schmidt liebt mich. Unsere Gefühle zueinander sind tief, ernsthaft und ehrlich. Aber unsere Liebe hat keine Zukunft. Denn Herr Schmidt ist verheiratet – und seine Frau sitzt im Rollstuhl.
Wir begegneten uns an einem Kaffee-Automaten, „unserem“ Kaffee-Automaten, in der Uniklinik vor der Intensivstation. Es war Abends kurz vor 10. Die Besuchszeit war längst zu Ende. Ich war blass und verheult. Die Ärzte gaben meinem Vater wenig Chancen, dass er den Herzinfarkt überleben würde. Ärzte sagen das natürlich nie so genau aber ich hatte dunkle Ahnungen und große Sorgen. Bei meinem Vater am Krankenbett war ich stark, zuversichtlich und konzentriert, aber draussen auf dem Gang an diesem Kaffee-Automaten ließen meine Gefühle sich nicht länger beherrschen.
Da kam Herr Schmidt. Er hat braunes, lockiges Haar, an den Schläfen leicht ergraut und er ist groß und stattlich mit einem warmherzigen Blick und braunen, liebevollen Augen. Wir kamen ins Gespräch, seine Frau hatte einen schweren Verkehrsunfall, auch er bangte um ihr Leben.
Gespräche im Klinikum verdichten sich schnell auf das Wesentliche, das Blabla aus dem „normalen“ Leben entfällt. Es geht um die großen und wirklich wichtigen Dinge: krank oder gesund? Tod oder Leben? Dazwischen gibt es nichts und nichts ist wirklich wichtig.
Herr Schmidt und ich redeten viel länger als nur eine kleine Kaffeepause lang. „Er bedeutet mir alles“, sagte ich über meinen Vater. „Sie bedeutet mir viel“ sagte Herr Schmidt über seine Frau. Irgend etwas rührte mein Herz als ich mit ihm sprach, danach war es mir wohler.
Am nächsten Abend trafen wir uns wieder am Automaten und so entwickelte sich unsere „Kaffeautomatenbeziehung.“
Seiner Frau ging es ein bisschen besser, meinem Vater auch. Wir sprachen uns gegenseitig Mut zu und Hoffnung und bald wurden unsere Gespräche persönlich. Herr Schmidt hat einen 18 jährigen Sohn, der in Maastricht studiert, er selbst ist Rechtsanwalt, hat sich aber gerade an einem Gesundheits Startup beteiligt, dass ihm so viel Spaß bereitet, dass er überlegt, ganz ein zu steigen. Ich erzählte aus meinem Leben, ich bin 33 Jahre alt, Radio-Redakteurin, seit 3 Jahren Single und auf der Suche nach einem …… Mann wie Herrn Schmidt. Er ist genau so, wie mein Traum Mann sein sollte: ein wunderbarer Zuhörer, kluger Gesprächspartner, intelligenter Ratgeber, kurz ein Fels Brandung, ein Mann, der fast ein bißchen altmodisch daher kommt. Herr Schmidt ist 13 Jahre älter als ich, aber das macht mir nichts aus. Es ist ein Vorteil.
Bald trafen wir uns auch Mittags in der Cafeteria, es war die einzige Stunde am Tag die Erholung und Erfrischung von den anstrengenden Stunden am Krankenbett bot. Zwei Wochen ging das so und als die Sonne draussen schien, gingen wir ein bisschen spazieren im Park. Wir lachten miteinander, tranken Kaffee und assen Eis. Wir waren zwei Verliebte auf einem Rendezvous, aber nein, das stimmt natürlich nicht. Herr Schmidt ist verheiratet. Und seine Frau hat schwere Wirbel Verletzungen, es ist nicht sicher, ob sie je wieder laufen kann.
Herr Schmidt wird seine Frau nie verlassen. Er ist ein Ehrenmann, deshalb gefällt er mir ja auch so gut. Obwohl die Ehe nicht die beste war. Seine Frau ist Lehrerin und hat ein Alkoholproblem. Er erzählte viel darüber. Da ihr Unfall auch unter Alkoholeinfluss statt fand, wird die Versicherung wahrscheinlich nicht bezahlen. Da kommt eine gigantische Problemwelle auf ihn zu. Aber er nimmt das auf seine typische Art: ruhig und souverän. Was für ein Mann!
Wenn ich bei Herrn Schmidt bin, spüre ich eine unglaubliche Sicherheit und eine innige Verbundenheit, die tiefer geht als die oberflächliche Verliebtheit die ich von meinen Gleichaltrigen Freunden her kenne. Das mit uns – ist etwas Besonderes.
Doch wie geht es weiter?
Mein Vater ist auf dem Weg der Besserung. Er kommt jetzt zur Reha, genau wie Herr Schmidts Frau. Wir werden uns dann nicht mehr sehen. Soll ich um ihn kämpfen? Gegen eine schwer kranke Frau? Wäre das moralisch nicht komplett daneben? Ein mieser Start für eine Beziehung? Ich weiß es nicht. Ich schwanke zwischen Liebe und Pflichtbewußtsein. Und Herr Schmidt schwankt auch.
Am letzten Tag in der Klinik gab ich Herrn Schmidt also meine Nummer. Ich sagte, er solle mich anrufen. Ich kann mir nicht vorstellen, ihn nie mehr zu sehen. Seither sind 3 Tage vergangen, ich kann nicht essen nicht trinken, nicht ruhen, nicht schlafen, ich bin verliebt und verzweifelt, weil ich nicht weiß, was ich machen soll. Kämpfen? Es lassen? Wozu führt dass alles? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass ich fühle, was ich will….
Fotoquelle: Instagram