Er hat stahlblaue Augen, hellblonde Haare, trägt ein weißes Leinenhemd….und schaut die ganze Zeit zu mir rüber. Wir sitzen in einer bekannten Hamburger Bar, draußen, es ist ein lauer Abend und ich schaue zurück. Er lächelt. Süß. Und schaut mit direkt in die Augen. Ich halte den Blick. Wir lächeln beide, kehren dann zu unseren Gesprächen zurück.
Nach kurzer Zeit das gleiche. Wir schauen wir uns wieder gleichzeitig an. Das geht den ganzen Abend so. Eigentlich ist er nicht mein Typ. Ich stehe auf dunkelhaarige, maskuline Männer. Dieser ist so ein typisches Nordlicht mit blonden Haaren, blasser Haut und schlacksiger Statur. Aber er wirkt unglaublich souverän und selbstbewußt. Und verdammt sexy.
Und dann, ich weiß nicht mehr WIE, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und schreibe meine Telefonnummer auf einen Bierdeckel. Geh‘ rüber sagt meine Freundin, steck ihm Deine Nummer zu, was hast Du schon zu verlieren? Wir zahlen…und er schaut mich nochmal an.
The Turning Point. Der Wendepunkt. Jede Frau hat das schon mal erlebt, diesen magischen Moment, wenn sich zwei Blicke kreuzen und man sich gegenseitig elektrisiert. Zahlen und gehen und ich sehe den Typen nie wieder. Ein schneller Augenflirt, ein kleines Gedankenspiel – morgen vergessen. Zahlen und Gehen?
Ein Sekundenbruchteil, der mein Leben – vielleicht – in eine neue, andere Richtung bringt. Ich bin im Driver Seat. Geb‘ ich ihm meine Nummer?
Ich bin 31 Jahre alt, groß, schlank, blond, attraktiv und habe einen tollen Job in einer großen, internationalen Werbeagentur. Ich leiste mir phantastische Urlaube und eine stylishe Penthousewohnung, ich habe viele Freunde und ein lustiges, ausgefülltes soziales Leben. Zu meinem Glück fehlt nur noch: ein Mann. Ich bin seit 3 Jahren Single.
Das liegt auch daran, dass ich wahnsinnig schüchtern bin. Das glaubt nur keiner, weil ich so groß bin, 1,78cm. Kleine Frauen werden ja immer süß, scheu und schüchtern eingeschätzt, große Frauen forsch und selbstbewußt.
Nie würde ich mich trauen, einen Mann, den ich gut finde, anzusprechen. Nie. Deshalb habe ich es auf Tinder probiert. Ein paar Dates, alle Horror. Über Tinder und meine miserablen Erfahrungen damit könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Man glaubt ja nicht, wieviel Freaks da draußen rum laufen. Und welche Fotos man geschickt bekommt. Widerlich! Ein einziger Typ schien okay, aber der war beim Treffen so derartig aufgeregt und zitterte, dass ich Mitleid bekam und bald heim ging. Nein, über Tinder läuft – zumindest bei mir -nichts.
Und jetzt: dieser Hammer Typ, gut aussehend und souverän. Souverän genug einer Frau den ersten Schritt nicht zu verübeln?
Ich schaff‘ das nicht, sage ich zu meiner Freundin. Es geht nicht. Ich bringe es nicht, dem jetzt meine Telefonnummer zu zu stecken. Okay sagt sie, dann spiele ich jetzt Schicksal und geht an den Nachbartisch. Sie gibt ihm den Bierdeckel, er guckt erfreut oder belustigt, ich versinke vor Scham, fliehe zum Taxistand, mein Herz rast bis zum Anschlag.
Wir sitzen im Taxi, wie war er, was hat er gesagt, ich löchere meine Freundin, da kommt seine SMS. Hallo hier Jan, Deine Freundin war so nett, mir Deine Telefonnumer zu geben. Du bist das Mädel vom Nachbartisch, Du hast die ganze Zeit gelacht?
Bin ich… schreibe ich zurück. Gut, schreibt er, dann kann ich mich ja mit Dir verabreden! Bin Mittwoch wieder in Hamburg. Hast Du Zeit?
Um es kurz zu machen: ich habe ein Date mit einem süßen Typen. Ich habe den ersten Schritt gemacht. Ich war nicht passiv, wie sonst immer, ich habe mein Schicksal selbst in die Hand genommen. Und ich habe es nicht bereut. Keine Ahnung, was daraus wird, auf jeden Fall ein lustiger Abend. Und das ist doch schon viel viel mehr als einsam daheim zu hocken…
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