Soeben wird der Hauptgang serviert, Wiener Schnitzel mit lauwarmem Kartoffelsalat, da macht sich „Premium“ Chefin Anita Tillmann auf den Heimweg. 22.30 Uhr ist in der Hauptstadt normalerweise die Zeit, sich fertig zu machen und auf die Rolle zu gehen. Aber diesmal bleibt Anita Tillmann im Restaurant Borchardt, bei Nicole Weber’s legendärem „Dinner for Friends“, beim stillen Wasser. Und verabschiedet sich – buchstäblich – nüchtern. Sie muss am nächsten Morgen ein Panel auf ihrer Modemesse moderieren und will dafür ausgeruht sein.
Auch Leyla Piedayesh, Chefdesignerin von Lala Berlin, sonst eine begeisterte Nachtschwärmerin, blieb bei der diesmaligen Fashion Week bei Wasser und frühen Bettzeiten. Genau wie Star-Haarstylist Sven Henninges, Klambt Gesellschafterin Ingrid Rose und Schauspielerin Julia Malik. Auch Team Glamometer setzte in Punkto Absturz auf Detox. Stellt sich die Frage:
Ist daheim bleiben das neue abstürzen? Werden die verrückte Modeleute langweilige Stubenhocker?
Tatsache ist: wer Alkohol trinkt bleibt länger wach, ist lustig und fidel. Schmiedet schnell Kontakte und läßt die Zunge locker – was ein Matchmaker sein kann. Und doch kommt irgendwann der „richtige“ Zeitpunkt zu gehen. Oder auf Wasser umzusteigen. Aber der wird garantiert verpasst. Im Eifer des fröhlichen Gefechts und nach 2 Gläsern gute Laune, vergißt man nicht nur dem Kellner stopp zu sagen, sondern auch die Sorgen aka Termine von morgen.
Dann wird gezecht und gelacht und gefeiert bis in den frühen Morgen. Es passieren verrückte, unvorhersehbare Dinge und es entstehen geniale Erinnerungen. Aber am nächsten Morgen sorgt Kater gnadenlos für Brummschädel, Konzentrationsprobleme und Wackel-Kreislauf. Und dann bereust Du Deine Sünden.
„Bei Geschäftsessen trinke ich grundsätzlich nur Wasser“ sagt zum Beispiel Jennifer Dixon, Editorial Director bei Stylebop. „Ich lasse mir Wein einschenken, stoße an, und nach dem zweiten Schluck merkt es eh keiner mehr, dass man nüchtern bleibt.“
Ein Abend ohne Alkohol läuft besser als man befürchtet. Die Vorteile: Du bleibst Herr aller Situationen, kannst die Gespräche zielführend lenken und: das Gefühl eines freien Kopfes am nächsten Morgen ist ginatisch. Du wachst auf und….Frische! Vor großen Terminen ist dies kriegsentscheidend. Wer früh um 9 Uhr schon ein Budget von 100.000 Euro verteilt, tut dies besser mit klarem Kopf.
In den goldenen 90er Jahren, als die Modebranche noch ohne Aufwand brummte, war es üblich schon zum Mittagessen eine Flasche Wein zu bestellen, meist Pinot Grigio, der damalige In-Drink. Man fragt sich, wie die Einkäufer mit beduseltem Kopf eine vernünftige Oder zustande brachten. Tempi Passati.
Natürlich gibt es immer noch rauschende Mode Parties und Abstürze dass die Schwarte kracht. Vor allem in Berlin. In den Anfangsjahren der Fashion Week kamen viele Modeleute auch deshalb in die Hauptstadt. Die unendlichen Party-Vielfalt war verlockender als die spärlichen Kollektionen.
Aber mit der Entwicklung der Premium Messe zum schwergewichtigen Branchen-Manget, mit der seriösen Arbeit des German Fashion Council , mit der Zunahme der Orders, der Einkäufer, der relevanten Journalisten und Influenencer, nahm die unbekümmerte Abstürzerei ein Ende.
Und jetzt hat ein gewisses Maß an Normalität, Realitätssinn und Vernunft die Fashion Week ergriffen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das ist gut so.
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