Ich bin 48 Jahre alt, Internistin, verheiratet mit einem Anwalt, unsere Söhne studieren, wir haben ein großes Haus, zwei Autos und – ja – relativen Wohlstand. Warum ich das beschreibe: weil ich damit sagen will, dass ich die ideale Zielgruppe für die Modebranche WÄRE, ich liebe Mode, gebe auch gerne Geld dafür aus, aber irgendwie…fühle ich mich nirgends mehr zuhause, aufgehoben, abgeholt.
Ich bin wegen meiner Freundin Netti auf Instagram, fand es erstmal spannend und neu und auch anregend, was andere Frauen in meinen Alter und in meiner gesellschaftlichen Stellung so tragen, die tollen, nachvollziehbaren Anregungen, die ich in Modezeitschriften vermisse.
Früher habe ich Modezeitschriften verschlungen, aber heute…das ist mir alles zu abgehoben und ehrlich gesagt auch zu teuer.
Wie gesagt, ich liebe Mode und lege Wert auf meine Outfits. Meine Lieblingsfirmen sind Riani, High und Allude, meine Wintermäntel kaufe ich bei Max Mara. Ich besitze Taschen von Chanel und Michael Kors und meine Schuhe sind von Gucci, Prada oder Tod’s. Schuhe reißen alles raus, keiner sieht, ob mein T-Shirt 50 Euro oder 500 Euro kostet, aber die Schuhe müssen exklusiv aussehen. Deshalb trage ich meine Designer-Schuhe auch in der Praxis. Aber ein ganzes Outfit, das überteuert ist – nein, das muss nicht sein und dafür arbeite ich auch zu hart, als dass ich mein Geld töricht verschwende.
Als ich vor 2 Jahren auf Instagram kam, gab es authentische Fotos und „echte“ Profile. Ich fand schicke Anregungen und praktische Style-Tipps für MICH. Es ging um Authentizität und den tatsächlichen Look von Frauen, denen es wie mir geht: wir wollen gut aussehen, geben gerne ein bißchen mehr Geld aus, aber…..
Aber heute? Instagram ist nicht (mehr) die reale Welt. Die Fotos sind inszeniert, nichts dabei, wie man auf der Straße rumläuft, zum Tengelmann gehen würde oder ins heimische Stadt-Theater.
Ich finde keine Vorbilder mehr für mich. Die meisten Profile zeigen Illusionen, da kann ich gleich ein Märchenbuch anschauen. Das hat nichts mit der Realität zu tun.
Die Mädels – es sind ja oft noch sehr junge Frauen – sehen alle gleich aus. Selfies wo die Augen größer gemacht sind. Das Gesicht wirkt schmaler und die Brüste größer. Die sehen aus wie japanische Comic Figuren. Keiner ist mutig, alle tragen die selben Taschen, die selben Turnschuhe, die gleichen Brillen. Die haben alle den gleichen Stil, es sind Klons, die man nicht unterscheiden kann.
Am schlimmsten finde ich die Fotos mit den inszenierten Kindern. Im Partner-Look mit Mama, je nach Geschlecht in Rosa oder Hellblau und passende zur Baby-Bettwäsche und dem Spielzeug, dass farblich selbstverständlich ebenso harmoniert. Nirgends gibt es Kinder, die Rotze an der Backe haben, oder Schokoladenflecken auf dem Pulli, oder aufgeschlagene Knie. Die durch den Rasensprenger laufen. Oder sich mal streiten. Oder mit abgeschrabbeltem Plastik-Spielzeug spielen. Alle Kinder sind artig, brav, haben sich lieb, vor allem die Geschwister und nie gibt es Streit, weil alle gerne teilen. Wo gibt’s denn das? Bei Instagram!
Derek Blasberg, ein Profil, dass ich mag, macht wenigstens mal einen Piratenausflug mit seinen Neffen und dann wird die Oma gefesselt, das ist ihm peinlich und für die Follower lustig. Das schaue ich mir gerne an. Da sieht man wenigstens ein bißchen was vom Leben.
Warum sind die Fotos nicht mehr „echt“ und authentisch? Schon die Orte sind nicht realistisch. Da sitzt man im feinen Café, alles ist drapiert mit Torten und Schokolade und die Serviette liegt so, dass man auch ja sieht wo man ist, nämlich in Paris und nicht im Dorf, wo man eigentlich her kommt. Auf den gehypten Fashion Profilen sieht man nie ein Dorf Café mit normalen Menschen drin.
Und alle sind dünn, obwohl sie immer große Portionen posten. Pizza, Spaghetti, Süßigkeiten, entweder wird das Essen nur fotografiert und dann geht’s an den Nachbar Tisch. Oder es wird weg geworfen.
Ich bekomme das Gefühl, dass diese jungen Frauen nur für ihre Fotos leben. Man sieht ja meist nur Einzelpersonen. Die haben wahrscheinlich keine Freunde mehr, weil sie nur mit sich selbst beschäftigt sind. Die ganze Welt dreht sich um mich, denn ich bin nur ein Egoist – das sang schon Falco.
Haben diese Frauen kein Selbtsbewußtsein? Kein echtes Selbstbewußtsein? Die haben offensichtlich Angst, negativ aufzufallen. Die wissen nicht wer sie sind und verstecken sich hinter Labels und Stylings. Man ist wer, wenn man das trägt, was alle tragen und läßt sich dafür feiern.
Die jungen Mädchen können sich das, was sie zeigen, doch garnicht leisten! Sie schauen ausgestattet und ausstaffiert aus – und sie posten das alles brav, die ganzen Taschen, die Täschle und Tütchen und Schleifen und auf den Stories wird der Deckel auf und zu gemacht, mit dekorativem Bumerang! Das mag man sich als normale Frau doch gar nicht mehr ansehen.
Früher, als ICH jung war, hat man alles personalisiert. Ich habe meine Sweatshirts ausgeschnitten und meine Jeans bestickt, Es war wichtig, dass man anders aussah, wie die anderen. Selbst wenn jemand in der Klasse etwas tolles anhatte, hätten wir das NIE nachgekauft. Wir trugen unsere Lieblingspullis monatelang am Stück, und wenn sie gewaschen wurden, war das ein Drama. Heute wird jeden Tag ein neues Outfit gepostet, wer zwei mal das Gleiche trägt…kriegt keine Likes!
Letzte Woche saß ich beim Friseur, kam eine sogenannte Influencerin herein. Sie filmte sich die ganze Zeit selbst und sprach mit ihrer Kamera, es war lächerlich. Nicht zum lachen war ihr Verhalten, denn sie behandelte das Personal hochnäsig und herablassend, nichts passte ihr und dann scheuchte sie die Azubine einen Kaffee mit Sojamilch holen, den sie dann einfach stehen ließ. Eine freche Rotznase war das ohne Manieren – aber mit 100.000 Followern. Ich muss da freundlich bleiben, erklärte meine Friseurin entschuldigend.
ICH kann das aber nicht entschuldigen und auch nicht vergessen. Von solchen Gören nehme ich keine modischen Ratschläge oder Infos. Ich habe einen Plan gefasst, ich ziehe künftig an, was MIR gefällt, egal ob es in oder out ist. Ich suche mir eine kleine Boutique mit einer liebevollen Verkäuferin und da trage ich mein Geld hin und wissen Sie was? Diese Entscheidung ist richtig befreiend!
P.S.: Liebe Leser, dies sind die realen Geschichten unserer Follower, die Meinungen, die Erlebnisse. Wenn Sie ebenfalls Erfahrungen sammelten, die Sie teilen möchten, Anregungen oder Aufregungen haben: wir freuen uns über Ihre Zuschrift und Ihre Story….
Danke für den interessanten Beitrag! Worüber ich mich wieder wundere: Warum folgt man Instageam Accounts, die nerven? Es ist jedem frei gestellt, wem man folgt, und es gibt sicherlich viele, inspirierende Instagram Accounts. Man muss seinen Account nicht gleich löschen, denke ich. Lieber seine Watchlist neu zusammenstellen.
Liebe Grüße,
Kathrin
Liebe Kathrin, ich werd’s ausrichten. Bin im übrigen exakt der gleichen Meinung wie Du. Lieben Gruß Annette
Super Beitrag sie hat ja so RECHT! xo Tanja
BTW- Gratulation zur BILD Kolummne
Danke liebe Tanja, ich freue mich auch darauf! Jeden Samstag in BILD zu schrieben, das ist eine tolle Herausforderung!
Hallo Netti. Deine Freundin hat wohl irgendwie recht. 23 jährige Influenzer, die auch noch dafür bezahlt werden und gar keinen eigenen Stil haben, nerven mit der Zeit. Zum Glück können wir uns jeden Tag neu orientieren und uns den anderen schönen Accounts widmen. Immer wieder finde ich kleine neue oder größere bekannte Seiten, die immer wieder überraschen.
Trotzdem freue ich mich, auch als Handelvertreter und Modeagentur, wenn Menschen aufwachen, sich neu bewegen ins eigene ich zurück kehren und sich wieder neu entdecken.
Liebe Grüße Stefan
Hallo lieber Stefan, die Story hat eine große Diskussion ausgelöst. Ich denke, wir zeigen mal richtig schicke und seriös exekutierte Accounts, denen WIR auch gerne folgen. Das hat übrigens nichts mit dem Alter zu tun! Es gibt wirklich wunderschöne Profile von jungen Frauen, aber die sind dann eher ruhig und diskret. Danke für die Zuschrift, Annette
Klasse Beitrag, die Frau spricht mir aus der Seele!
Ich wollte mir gestern etwas gönnen, irgendein Designerteil, etwas besonderes. Und was habe ich gekauft? Nichts.
Ein paar Guccischuhe die ich täglich 1000e Male sehe? Oder die hässlichen Balenciaga Turnschuhe, die aktuell JEDER Blogger trägt, mit denen man im Alltag aber doch nicht wirklich rumlaufen will?
Ich habe tatsächlich nichts gefunden, weil ich das Gefühl hatte, jedes Teil schon dutzende Male gesehen zu haben. Ich habe mir dann gestern das gleiche vorgenommen: ich will anders sein! Versuchen, mir eher Dinge zu kaufen, die keiner hat & die ich nicht überalll sehe.
Und mir bei Instagram mehr Blogger zu suchen, die mich wirklich inspirieren und bei denen man eben nicht das Gefühl hat, dass sie von einem Designer ausgestattet oder wohl eher verkleidet werden.
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!