Ich weiß es sicher, habe gehört, glaube fest… Über die Macht von Gerüchten
Grüss Dich, Bussi Bussi, wie sensationell Du wieder aussiehst, wenn wir uns auf dem Gang begegnen, umarmt sie mich überschwänglich. So als wäre nichts. Als würde sie wirklich meine beste Freundin sein. Aber sie ist eine Pharisäerin, verspritzt Gift hinter meinem Rücken und verbreitet Lügen. Beziehungsweise es sind keine Lügen, es sind einfach Geschichten aus meiner Vergangenheit, die abgehakt sind. Aber jetzt spricht das ganze Büro darüber.
Ich hatte mal Job-Ärger wegen Diebstahl. Ich hatte angeblich einen Fernseher geklaut. Das war aber nicht so. Ich war Sonntags im Atelier gewesen, die Stechuhr bedient – und an diesem Sonntag kam jener Fernseher weg. So fiel der Verdacht auf mich. Ich bekam eine fristlose Kündigung, aber es wurde weiter geklaut und es stellte sich bald heraus, dass es eine Kollegin war. Ich hätte meinen Job wieder haben können. Aber ICH wollte nicht mehr. Das Klima war vergiftet. Schwamm drüber, 10 Jahre her.
Und jetzt ist wieder was weg gekommen. 500 Euro Vorschuss einer Kollegin aus dem Außendienst. Seitdem ist mein Leben die Hölle. Corinna ist die Ursache. Sie weiß von meiner Diebstahl-Affäre. Als einzige. Ich hatte ihr dieses schreckliche Kapitel mal bei einem Glas Wein anvertraut, am Anfang meiner Zeit hier in der Firma. Da verstanden wir uns prächtig. Corinna war offen und lustig und so kam es, dass wir bald zu After Work Parties gingen und uns anfreundeten.
Wir waren beide Single, ein lustige Zeit. Aber dann lernte ich meinen jetzigen Freund kennen und Corinna wurde eifersüchtig. Erst habe ich das gar nicht gecheckt. Aber als sie immer nur schlecht über meinen Freund redete und mir die abenteuerlichsten Geschichten auftischte, da wußte ich Bescheid. Corinna ist mißgünstig.
Diese schlechte Stimmung zwischen uns übertrug sich auch auf die Arbeit. Corinna ist Schnitt Direktrice, ich bin Designerin, wir sind aufeinander angewiesen. Aber ich bemerkte immer öfter „Fehler“, die sie gemacht hatte und mir in die Schuhe schieben wollte. Als sich die letzte Winterkollektion nicht gut verkaufte, ging sie hinter meinem Rücken zu unserer Chefin und hat mich angeschwärzt. Ich weiß das, weil Angie, die Assistentin meiner Chefin, es mir gesteckt hat.
Alle Alarmglocken an! Hätte ich Corinna zur Rede stellen sollen? Damit hätte ich nur Angie, meine Quelle, verraten, das schied also aus. Ich konnte nur abwarten. Und Stillhalten. Unserer Firma geht es nicht so gut, wir müssen wahrscheinlich Leute entlassen, vielleicht trifft es eine von uns. Da bringt sich Corinna in gute Stellung.
Und nun die Sache mit den 500 Euro. Ich war, wie alle hier, völlig entsetzt, dass geklaut wurde. Nie hätte ich gedacht, dass der Verdacht auf mich fallen könnte. Aber letzten Montag sagte mir Angie, dass Corinna wieder bei unserer Chefin war. Tür diesmal geschlossen. Nichts drang nach draußen. Und unsere Chefin rief mich Dienstags zu sich ins Büro. Irgendein Vorwand, ich bin ja nicht blöd. Wie zufällig kam sie aufs Thema. Ob ich am Tag des Diebstahls beim Außendienst gewesen sei und so.
Ich habe nichts geklaut. Ich bin unschuldig. Und doch fühle ich mich mies und dreckig und beschmutzt. Wie eine Verbrecherin. Laufe ich über den Gang, verstummen die Gespräche. Ziehe ich einen Kaffee, stellt sich keiner zu mir. Und wenn ich Mittags in die Kantine will, hat keiner mehr Zeit. Das kann alles Zufall sein. Oder auch nicht. Ich weiß es nicht. Aber dieses Nicht-Wissen bringt mich um. Es macht mich verrückt.
Wie es weiter geht? Soll ich meiner Chefin von meiner Vergangenheit erzählen? Und den Verdacht erst recht auf mich lenken? Wird sie nicht denken, warum kommt sie erst JETZT damit? Soll ich Corinna ansprechen? Aber auf was? Nein, es macht alles keinen Sinn. Ich kann einfach nur: abwarten.
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