Klaus liebte seine Frau schon lange nicht mehr, aber er wollte oder konnte sich nicht scheiden lassen, denn es gab keinen Ehevertrag zwischen den beiden und Klaus hatte im Lauf seines Lebens ein gewaltiges Vermögen erwirtschaftet, das dann stark dezimiert gewesen wäre.
Ich war seine Affäre. Weit weg in Österreich. Er war von Anfang an straight zu mir, hatte mir nie „Hoffnung“ auf eine gemeinsame Zukunft gemacht. Klaus ist ein spannender, kluger Mann, ich mochte ihn unglaublich gerne, es war fast mehr Freundschaft als Liebe, wir führten stundenlange Gespräche, oft auch über unsere Geschäfte. Die Affäre lief lange ganz diskret und heimlich und als ich schwanger wurde, konnte ich es zunächst nicht fassen. Schwanger? Ich war ja schon 39 Jahre alt, Klaus 58, aber dann überwog meine Freude. Klaus reagierte entspannt. Er freute sich für mich, aber er machte auch nochmal klar, dass es kein Happy Family Life geben würde.
Klaus ist bis heute extrem großzügig, was das finanzielle anbetrifft. Er sieht Claire zwei oder dreimal im Jahr, wenn er hier nach Österreich kommt. Er geht süß mit ihr um, macht ihr unglaubliche Geschenke, kauft ihr teuere Klamotten, Schuhe und was sie sich sonst noch wünscht. Die meisten Leute denken sowieso, dass er ihr Großvater ist, Klaus feierte letztes Jahr seinen 75. Geburtstag – Claire war übrigens auch dabei und reiste mit einer Freundin zu ihm nach Köln. Seine Frau hat ihm den Seitensprung verziehen – ich weiß auch nicht, wie man so etwas weg stecken kann.
Klaus und ich gehen zivilisiert und erwachsen miteinander um. Das hat natürlich auch mit meiner gesicherten beruflichen Situation zu tun, ich führe unser Familienunternehmen in der 4 Generation, wir besitzen eine Verzinkerei, 180 Mitarbeiter. Ich bewohne eine wunderschöne Villa mit ausreichend Personal und habe wirklich NULL finanzielle Probleme. Claire besucht seit diesem Jahr ein renommiertes Schweizer Internat, es kostet ein Vermögen, dass ICH zahle, denn ICH habe auch die Entscheidung getroffen, Claire dorthin zu schicken und damit sind wir beim Thema.
Wie ist es, eine alleinerziehende, berufstätige Mutter zu sein?
Es ist….nicht immer leicht. Wie gesagt, ich habe keine Geldsorgen. Ich kann nur ermessen wie furchtbar es sein muss, zu den ganzen „normalen“ Problemen noch am Monatsende bangen zu müssen, ob das Geld für Essen, Nachhilfe, Ballettstunden oder ein Ski-Weekend reicht.
Claire wurde mit verschiedenen Kindermädchen groß. Die wohnten bei uns in der Einliegerwohnung, also ganz nah, aber am Ende war ich dann doch immer allein. Wenn Claire nachts Choliken bekam. Stundenlang stand ich bei ihr am Bettchen oder trug sie durch die Wohnung. Wenn sie Fieber hatte, Schulprobleme, Ärger mit Freundinnen, den ersten Liebeskummer, die ersten Monatsschmerzen, das alles machte ich mit Claire alleine aus.
Sie hatte diese zwei verwachsenen Zehen von Geburt an, nichts Großes, aber ich stand kurz nach der Entbindung schon vor der Frage: soll ich sie operieren lassen? Es gab Argumente dafür und welche dagegen. Klaus? Er war nicht vor Ort und wollte auch keine Verantwortung übernehmen. Es war einer der schmerzlichsten Momente meines Lebens, als er mir das genau so – komplett emotionslos – am Telefon mitteilte. „Ich kann Dir nicht helfen, dass mußt Du alleine entscheiden.“
Mit den großen Fragen war ich also immer alleine. Das ist ein nagendes, lähmendes Gefühl. Mache ich alles richtig? Treffe ich die passende Entscheidung? Als Alleinerziehende hängt die Verantwortung wie eine Last an Dir, ich hätte so oft so gerne wenigstens eine zweite Meinung gehört. Aber ich hörte statt dessen immer – ungefragt – die Meinung so genannter „Wohlmeinender“. Das waren meist gut verheiratete Damen, die weder Ahnung von meinem Beruf als Geschäftsführerin, noch von den Sorgen als Single-Mutter hatten. Aber Ratschläge, die gaben sie. Mein Bekanntenkreis änderte sich nach der Geburt von Claire komplett. Ich ertrug diese ostentativ glücklichen Paare immer weniger, ich hatte einen gewaltigen Groll auf sie und gleichzeitig war ich vielleicht sogar ein bißchen neidisch. Die Frauen mussten nicht ihr ganzes Leben alleine stemmen, mit der Firma, den Mitarbeitern, dem Haus, der Tochter. Die hatten ein Mann, der das alles zuverlässig erledigte. Und so ging uns auch der gemeinsame Gesprächsstoff bald aus.
Eine Zeit lang hatte ich eine sehr nette Freundschaft mit meiner Physiotherapeutin, auch eine allein erziehende Mutter, aber unser sozialer Status passte nicht zusammen. Ich weiß, dass klingt schlimm. Aber ich bin wohlhabend und leiste mir einen gewissen Lebensstandard. Ich lud die Physiotherapeutin mit ihrer Tochter immer ein, sogar zu einem gemeinsamen Club-Urlaub nach Kenia. Ich zahlte alles, kein Problem. Aber SIE hatte damit ein Problem. Statt Dankbarkeit spürte ich unterschwelligen Sozialneid, es kam zu Spannungen und die Freundschaft erlosch.
Bald fuhren wir in den Ferien überhaupt nicht nicht mehr in Clubs, denn ich fühlte mich ausgerechnet dort, wo man ja immer umgeben ist von Animateuren, Sporttrainern, anderen Gästen und deren Kindern, ganz besonders einsam und alleine. Wenn wir abends an die extragroßen Tische geführt wurden, wo die anderen Singles saßen, das war…schrecklich demütigend. Beim letzten Club-Urlaub bekam Claire von einem größeren Jungen einen Stein an den Kopf geworfen. Ich beschwerte mich bei der Hoteldirektion, aber statt dass die Eltern des Jungen sich entschuldigt hätten, kam der Vater auf mich zu und brüllte mich in Grund und Boden. Claire hätte ja wohl angefangen mit den Steinen zu werfen, ich solle mich bloß nicht mehr in die Nähe des Pools trauen, sonst wäre was los. Ich heulte die ganze Nacht, fühlte mich hilflos und wünschte mir nur eines: einen Mann an meiner Seite. Denn zu einem Mann hätte dieser verrückte Familienvater niemals die Stimme erhoben. Aber gegen eine schwache Frau, da traute er sich.
Das lernt man als Alleinerziehende bitter: als Frau ziehst Du den Kürzeren. Das ist übrigens auch in der Schule so. Was ich mir alles anhören musste von den lieben Lehrern. Sie vernachlässigen Ihre Tochter! Sie kümmern sich nicht richtig! Sie verwöhnen Sie zu sehr. Ja, es stimmt. Claire ist verwöhnt. Aber sie ist mein einziges Kind. Ich liebe sie. Ich habe jede freie Minute meines Lebens mit Claire verbracht. Ich bin weder eine neue Beziehung eingegangen noch war ich einen einzigen Tag oder eine einzige Nacht nicht zu Hause. Und ja: ich war die ganze Zeit voll berufstätig. Tagsüber mußte ich die toughe strenge Chefin sein, abends die zärtliche, verständnisvolle Mutter. Den Hebel um zu legen war nicht immer einfach.
Claire und ich haben und hatten ein wunderbare, enge und liebevolle Beziehung. Wir sind wie Freundinnen. Zusammen geschweißt. Eigentlich sind wir fast ZU eng. Claire hat früh, vielleicht zu früh, die Rolle einer „Partnerin“ in meinem Leben übernommen. Mit der ich reden konnte und zwar über alles. Mir fehlte in all den Jahren kein Mann. Ich hatte ja Claire.
Nur die Schule war für sie eine Qual. Sie hat eine leichte Legasthenie. Die wurde mit zunehmendem Alter problematisch. Und ich war mit dieser Herausforderung – und der Frage nach der Lösung – mal wieder alleine. Sorgen sind das. Große Sorgen. Die man wochenlang mit sich rum schleppt, die einem Nachts den Schlaf rauben. Wird Claire ihre Matura überhaupt schaffen? Und wenn nicht was dann? Internat. Die rettende Idee. Aber welches? Wieder alleine zur Beratung, wieder alleine die in Frage kommenden Institute besuchen. Entscheiden.
Claire ist jetzt bald aus dem Haus. Andere Eltern freuen sich, wenn ihre Brut endlich flügge wird und die Welt zu erobert. Mit ist davor Angst und Bange. Ein Leben ohne Claire? Ich werde unendlich alleine sein. Einsam. Auch das ist systematisch für Alleinerziehende. Es gibt kein Happy End!